WISSENSWERTES | 18.10.2019
DIE AUSWIRKUNGEN DER HOAI-ENTSCHEIDUNG DES EUGH
Die Entscheidung des EuGH vom 4. Juli 2019 (Rs. C-377/17) hat die Säulen der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) regelrecht ins Wanken gebracht. Sowohl auf Auftraggeber- als auch auf Auftragnehmerseite scheint sich eine Art Goldgräberstimmung zu verbreiten. Was sind die Folgen der Entscheidung für die Vergabe von Architektenleistungen? Wie wirkt sich die Entscheidung auf laufende und zukünftige Honorarprozesse aus?
Entscheidung des EuGH
Der Europäische Gerichtshof hat in seinem mit Spannung erwarteten Urteil festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus der Dienstleistungsrichtlinie (RL 2006/1123/EG) dadurch verstoßen hat, dass sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat.
Folgen für die Bundesrepublik Deutschland
Aus der Feststellung des Vertragsverstoßes folgt für Deutschland die Pflicht, den Verstoß zu beenden. Dies wird durch eine Novellierung der HOAI erfolgen müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die festgestellte Europarechtswidrigkeit auf die Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze bezieht und nicht die HOAI als Ganzes in Frage gestellt wird.
Einhaltung der Honorarsätze = zuverlässiges Zuschlagskriterium?
Um unverzüglich ein unionskonformes Verwaltungshandeln sicherzustellen wurde bereits am 22. Juli 2019 durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat ein Hinweiserlass versandt.
Danach sind bestehende Verträge der öffentlichen Hand mit Architekten und Ingenieuren grundsätzlich weiterhin als wirksam anzusehen. Da Mindest- und Höchsthonorarsätze allerdings nach der Entscheidung des EuGH nicht mehr verbindlich vorgegeben werden dürfen, besteht grundsätzlich, auch bei eventuellen Abweichungen, kein Anspruch (mehr) auf Anpassung an diese Honorarsätze. Gleiches soll für das Verlangen nach einer Anpassung des Honorars an die Mindestsätze der HOAI im Rahmen von Stufenverträgen für den Abruf einer weiteren Leistungsstufe gelten.
Bei Neuvergaben von Planungsleistungen im Anwendungsbereich der HOAI macht sich das Urteil unmittelbar bemerkbar. Angebote dürfen aufgrund der Entscheidung nicht mehr mit der Begründung ausgeschlossen werden, dass sie außerhalb der von der HOAI vorgegeben Mindest- oder Höchsthonorarsätze liegen.
Für einen öffentlichen Auftraggeber ergibt sich vielmehr das Verbot, die EU-rechtswidrigen Vorschriften der HOAI bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen als Zuschlagskriterium anzuwenden (vgl. VK Bund, Beschluss vom 30. August 2019 – VK 2-60/19).
Bindung deutscher Gerichte bei Honorarklagen?
Bislang galt, dass die HOAI zwingendes Preisrecht enthält. Die in einem Vertrag getroffene Vergütungsabrede war unwirksam, wenn sie gegen den Mindestpreischarakter verstieß. Auch wenn die Parteien eines Architektenvertrags ein unterhalb der Mindestsätze der HOAI liegendes Pauschalhonorar vereinbart haben, konnte der Architekt in der Regel später ein höheres Honorar auf der Basis der Mindestsätze der HOAI verlangen (vgl. z.B. OLG München, Beschluss vom 22.08.2017 – 27 U 134/17 Bau).
In kürzester Zeit haben sich in der Rechtsprechung sowie in der Fachliteratur zwei konträre Standpunkte zu der Frage entwickelt, ob die Entscheidung des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren auch für deutsche Zivilgerichte verbindlich ist und inwiefern die Regelung des § 7 HOAI 2013 noch angewandt werden darf.
Nach Entscheidungen beispielsweise des Oberlandesgerichts Hamm (Urteil vom 23. Juli 2019 – 21 U 24/18) und des Kammergerichts (Beschluss vom 19. August 2019 – 21 U 20/19) ist in einem Zivilrechtsstreit zwischen Architekt und Auftraggeber das Mindestpreisgebot nach § 7 Abs. 3 und 5 HOAI 2013 weiter anzuwenden.
Nach dieser Auffassung bindet das Urteil des EuGH nur den Mitgliedstaat, der nach eigenem Ermessen die geeigneten Maßnahmen ergreifen muss, um den europarechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Für den einzelnen Unionsbürger geht von dem Urteil keine unmittelbare Rechtswirkung aus. Die Feststellung der Europarechtswidrigkeit der Mindestsätze der HOAI im Vertragsverletzungsverfahren ändert nichts daran, dass zum Zeitpunkt des Verstoßes die HOAI zu beachten war, denn es gibt insofern keine Rückwirkung.
Nach anderer Auffassung beispielsweise des Oberlandesgerichts Celle (Urteil vom
17. Juli 2019 – 14 U 188/18) und des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Urteil vom
17. September 2019 – 23 U 155/18) sind die Gerichte verpflichtet, die für europarechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden. Aus der Feststellung des Vertragsverstoßes folgt für den verurteilten Mitgliedstaat die Pflicht, den Verstoß zu beenden. Diese Pflicht trifft sämtliche Stellen des verurteilten Staats, somit auch die Gerichte. Die Entscheidung des EuGH wirkt sich danach auf bestehende Vertragsverhältnisse dahingehend aus, dass Honorarvereinbarungen nicht deshalb unwirksam sind, weil sie die Mindestsätze der HOAI unterschreiten oder deren Höchstsätze überschreiten. Nach einer im Übrigen wirksamen Vereinbarung eines die (unionsrechtswidrigen) HOAI-Mindestsätze unterschreitenden Pauschalhonorars ist danach eine Nachforderung im Rahmen der Schlussrechnung auf Basis der Mindestsätze nicht (mehr) zulässig.
Einordnung
Nach unserer Auffassung ist der letztgenannten Meinung zu folgen. Insbesondere überzeugt das Argument, dass sich die Vertragsparteien in den Fällen des § 7 Abs. 1 HOAI 2013 auf ein Honorar vertraglich geeinigt haben und es einem Eingriff des Staates gleichkäme, wenn diese vertragliche Vereinbarung unter Berufung auf Mindest- oder Höchstsätze abweichend vom gemeinsamen Willen der Vertragspartner bei Abschluss des Vertrages nachträglich in Frage gestellt würden. Der Eingriff ist darin zu sehen, dass § 7 Abs. 1 HOAI 2013 ein gesetzliches Verbot begründet, Honorarvereinbarungen ober- oder unterhalb der Mindestsätze zu vereinbaren. Dieser Eingriff darf auch durch die Gerichte nicht mehr stattfinden.
PRAXISTIPP
Rechtssicherheit zum Umgang mit § 7 Abs. 1 HOAI 2013 werden alle Beteiligten erst nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes hierzu haben. Da gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt wurde (Az. VII ZR 174/19), wird er hierzu alsbald Gelegenheit bekommen.