WISSENSWERTES | 21.02.2017
Sanierungsgewinne steuerpflichtig – BFH kippt „Sanierungserlass“
Der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat in seinem lang erwarteten, nunmehr mit schriftlicher Begründung vorliegenden Beschluss vom 28. November 2016, GrS 1/15, festgestellt, dass der sogenannte „Sanierungserlass“ des Bundesministerium der Finanzen (BMF-Schreiben vom 27. März 2003, IV A 6 S 2140 8/03, BStBl. I 2003, S. 240, ergänzt durch das BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009, IV C 6-S 2140/07/10001-01, BStBl. I 2010, S. 18) gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) verstößt.
Der Sanierungserlass des BMF sah einen Erlass der auf einen Sanierungsgewinn anfallenden Steuern aus Billigkeitsgründen vor. Der Große Senat des BFH äußerte in seinem Beschluss vom 28. November 2016 keine grundsätzlichen Bedenken gegen den Regelungsinhalt des Sanierungserlasses und erachtet Billigkeitsentscheidungen im Einzelfall auch weiterhin für möglich. Nach seiner Auffassung hat die Finanzverwaltung allerdings in unzulässiger und kompetenzüberschreitender Weise eine Regelung durch Verwaltungsvorschrift eingeführt, die allein dem Gesetzgeber vorbehalten ist.
Fehlende gesetzliche Grundlage
Bereits vor dieser Entscheidung war seit geraumer Zeit diskutiert worden, ob der von der Finanzverwaltung typisierend angewandte Sanierungserlass auf einer gesetzlichen Grundlage beruht. Der BFH beendet diese Diskussion nunmehr mit der Feststellung, dass das von der Finanzverwaltung und von Teilen der Rechtsprechung sowie der Literatur als richtig erkannte Ziel, Sanierungsgewinne generell, jedenfalls aber nach einer Verrechnung mit Verlusten, nicht zu besteuern, jedenfalls nicht mit einem Billigkeitserlass nach § 163 Satz 1 oder § 227 Abgabenordnung (AO) erreicht werden könne.
Während bis zum Veranlagungszeitraum 1997 Sanierungsgewinne aufgrund § 3 Nr. 66 Einkommensteuergesetz (EStG) a.F. noch von der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer ausgenommen waren, fehlte nach der ersatzlosen Abschaffung der Norm im Jahr 1997 eine gesetzliche Steuerbefreiung für Sanierungsgewinne. Das BMF erließ deshalb 2003 den Sanierungserlass auf Grundlage der Billigkeitsregelungen in § 163 und § 227 AO. Der Sanierungserlass bestimmte, dass die Besteuerung eines Sanierungsgewinns unter ähnlichen Voraussetzungen wie nach der bis 1997 geltenden Rechtslage erlassen werden konnte. Aufgrund des Sanierungserlasses musste eine Einzelfallprüfung hinsichtlich persönlicher oder sachlicher Billigkeitsgründe nicht mehr stattfinden. Vielmehr konnte die Finanzverwaltung davon ausgehen, dass bereits mit der Vorlage eines Sanierungsplans die Voraussetzungen für den Steuererlass erfüllt waren.
Darin erblickt der Große Senat des BFH eine „strukturelle Gesetzeskorrektur“ durch das BMF, die insbesondere nicht durch die §§ 163, 227 AO gedeckt sei. Denn diese Vorschriften erlaubten nur Billigkeitsmaßnahmen im Einzelfall, nicht jedoch eine typisierende Regelung.
Folgerungen und Ausblick
Bedeutung hat die Entscheidung vor allem für die Besteuerung insolvenzgefährdeter und sanierungsbedürftiger Unternehmen. Der – zumindest teilweise – Forderungsverzicht ist ein geradezu obligatorischer Teil jedes Insolvenzplans.
Der aufgrund des Beschlusses des Großen Senats des BFH vom 28. November 2016 nicht mehr anwendbare Sanierungserlass des BMF gewährte Unternehmen in der Krise eine steuerliche Begünstigung, indem durch Forderungsverzicht begründete Gewinne nicht mit Ertragsteuern belastet wurden, wenn der Verzicht mit dem Ziel der Unternehmenssanierung erfolgte. Nunmehr ist der sich aus dem Forderungsverzicht – und nach Verrechnung mit etwaigen Verlustvorträgen – ergebende Sanierungsgewinn zu versteuern. Dies wird regelmäßig das mit dem Forderungsverzicht verfolgte Sanierungsziel gefährden und die Liquiditätssituation eines sich sowieso bereits in der Krise befindlichen Unternehmens verschärfen. Die gleichwohl bestehende Möglichkeit der Billigkeitsprüfung im Einzelfall wird als Ausnahmeregelung im Zweifel nur noch von einem deutlich kleineren Teil der zu sanierenden Unternehmen in Anspruch genommen werden können. Das mit dem geltenden Insolvenzrecht verfolgte Ziel, sanierungsfähige Unternehmen fortzuführen und nicht zu zerschlagen, wird dadurch konterkariert.
Zu hoffen ist, dass der Gesetzgeber auf den Beschluss des Großen Senats des BFH zügig reagieren wird, indem er das mit dem Sanierungserlass verfolgte wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Interesse an erfolgreichen Unternehmenssanierungen auf eine gesetzliche Grundlage stellt.
Ungeklärt bleibt allerdings, ob eine etwaige Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen auf gesetzlicher Grundlage möglicherweise eine europarechtswidrige Beihilfe darstellt. Darüber sollte mit der Europäischen Kommission als Hüterin der Europäischen Verträge rechtzeitig eine abschließende Abstimmung herbeigeführt werden, bevor der Gesetzgeber Sanierungsgewinne steuerfrei stellt.