WISSENSWERTES | 29.09.2022
Neues zu Bewertungsportalen – Bundesgerichtshof (BGH) stärkt Bewertete im Prozess
Für nahezu jede Branche existieren inzwischen einschlägige Bewertungsportale – egal ob für ärztliche Leistungen (z.B. „jameda“ ), für Reisen (z.B. „TripAdvisor“) oder ganz generell, etwa für Arbeitgeber (z.B. „kununu“ ). Dementsprechend nehmen gerichtliche Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit der im Internet weltweit und zu jeder Zeit öffentlich zugänglichen Bewertungen zu.
Streitfrage: Fehlender Kundenkontakt?
Noch vor der häufig zentralen Frage, ob es sich dabei um noch zulässige Meinungsäußerungen, um unwahre und daher unzulässige Tatsachenbehauptungen oder gar um Schmähkritik handelt (siehe dazu die jüngste BGH-Entscheidung zu negativen „ebay“-Bewertungen), ist häufig gar nicht sicher, ob der Bewertende überhaupt Kunde bzw. (ehemaliger) Arbeitnehmer des Bewerteten war. Ist das nicht der Fall gewesen, so ist die Bewertung in der Regel allein schon wegen des fehlenden geschäftlichen Kontakts unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2011, Az. VI ZR 93/10).
Zur DNA von Bewertungsportalen gehört es jedoch, dass Personen dort auch ohne Preisgabe ihres Klarnamens – also unter einem Pseudonym – Bewertungen abgeben können. Verfassungsrechtlich ist das nicht zu beanstanden. Häufig ist aber gerade dann für den Bewerteten nicht erkenn- und/oder ermittelbar, wer dahinter steckt. Ob und unter welchen Voraussetzungen er sich dann auf einen fehlenden Kundenkontakt berufen kann und wie das Verfahren in einem solchen Fall weiterzuführen ist, war in der Instanzrechtsprechung bislang streitig.
Rüge fehlenden Kontakts genügt im Prozess
Mit Urteil vom 9. August 2022 (Az. VI ZR 1244/20) hat der BGH nun Klarheit in einem Fall geschaffen, der ein Reiseportal betraf: Danach genügt es, wenn der Bewertete das Fehlen eines Kundenkontakts nur behauptet. Das kann in der Regel nicht (mehr) als unbeachtlicher sog. Vortrag „ins Blaue hinein“ bewertet werden, weil der Bewertete den Kundenkontakt nicht sicher feststellen kann. Diese neue Linie soll nicht nur im Prozess gelten, sondern auch schon im Rahmen der vorgerichtlichen Beanstandung des Bewerteten bei dem Portalbetreiber und selbst dann, wenn zwar Anhaltspunkte dafür vorlegen, dass es einen Kundenkontakt gab – jedoch keinen Beleg. Rügt der Bewertete in einem solchen Fall dem Portalbetreiber gegenüber, dass ein Kundenkontakt fehle und klärt der Portalbetreiber das nicht bejahend durch Rückfrage bei dem Bewertenden auf (sog. „Notice-and-take-down-Verfahren“), so haftet der Portalbetreiber auf Unterlassung. Vorher ist er als nur mittelbarer Störer allerdings nach wie vor nicht verpflichtet, von Nutzern eingestellte Beiträge auf eventuelle Rechtsverletzungen hin zu prüfen.
Ausblick
Es bleibt abzuwarten, ob die Portalbetreiber künftig schon auf bloßes vorgerichtliches Bestreiten eines Kundenkontakts entsprechend der neuen BGH-Vorgaben reagieren oder sich – wie in der Praxis derzeit noch häufig der Fall – schlicht auf eine angeblich fehlende Verantwortlichkeit zurückziehen. Im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung dürften sich nun jedenfalls die Chancen für den möglicherweise zu Unrecht Bewerteten deutlich verbessert haben.