WISSENSWERTES | 02.12.2019

Abschottung ausländischen Abfalls in Sachsen-Anhalt rechtswidrig

 

Aufatmen für Abfallimporteure und Deponiebetreiber: Das Verwaltungsgericht Halle (VG Halle) hat der bisherigen Verwaltungspraxis des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt, ausländische Abfallimporte abzuweisen, jüngst eine Abfuhr erteilt. Der Landtag von Sachsen-Anhalt hatte im November 2011 beschlossen, den Import ausländischer Abfälle zu reduzieren. Weiter hieß es in dem Beschluss: „Die Landesregierung ist gebeten, mittel- bis langfristig die Abfallimporte im Rahmen des geltenden Rechts zu reduzieren.“ Daraufhin ließ das Landesverwaltungsamt ausländische Abfälle nicht mehr zu und begründete das mit einem Autarkieeinwand, dem Verstoß gegen das abfallrechtliche Näheprinzip und einem Widerspruch gegen den Abfallwirtschaftsplan. Das VG Halle hat dieses Vorgehen nun mit (noch nicht rechtskräftigem) Urteil v. 19.11.2019 VG Halle (Saale) Az_ 8 A 67_18 HAL wg. Abfallverbri… für rechtswidrig erklärt und ausdrücklich festgestellt, dass das Landesverwaltungsamt verpflichtet war, die beantragte Zulassung zur Abfallverbringung zu erteilen.

 

Der entschiedene Fall

 

Geklagt hatte ein von unserer Kanzlei vertretenes italienisches Unternehmen, dass bereits seit 2016 eine bestimmte Abfallart auf eine dafür spezialisierte Deponie in Sachsen-Anhalt zur Entsorgung liefert. Nachdem dies stets genehmigt worden war, erhob das Landesverwaltungsamt unter Berufung auf den Beschluss des Landtages im Juni 2017 Einwände gegen die beantragte Notifizierung von Abfällen. Hiergegen klagte das italienische Unternehmen – mit Erfolg.

 

Die Rechtslage

 

Die Zulassung eines Abfallimportes richtet sich innerhalb der EU nach der Abfallverbringungsverordnung (VVA), Verordnung Nr. 1013-2006. Danach gilt grundsätzlich innerhalb der Europäischen Union – auch im Abfallrecht – Entsorgungsfreiheit. Vorrang hat stets die ordnungsgemäße Verwertung oder Deponierung des Abfalls. Die Behörden am Bestimmungsort (Ort, zu dem der Abfall verbracht wird) haben daher eine Zustimmung zur Abfallverbringung zu erteilen, wenn kein Sach- oder Rechtsgrund für die Erhebung eines sogenannten Einwandes vorliegt. Einwände können unter anderem erhoben werden zur Lenkung von Abfallströmen („Autarkieeinwand“ nach Art. 11 Abs. 1 oder Art. 11 Abs. 2 g) i) EU-VVA), zum Importschutz, falls inländischer Abfall sonst nicht vor Ort beseitigt werden kann („Verdrängungseinwand“, Art. 11 Abs. 2 g) ii) EU-VVA) oder dann, wenn die Verbringung gegen einen Abfallwirtschaftsplan verstößt („Planeinwand“, Art. 2 Abs. 2 g) iii) EU-VVA). Die Behörde hatte hier alle drei Einwände erhoben.

 

Die Begründung des Gerichts

 

Das Gericht stellte klar, dass die Einwanderhebung rechtswidrig war und die Zulassung hätte erteilt werden müssen. Mit den einzelnen Einwänden befasst sich das Urteil sehr ausführlich und arbeitet deutlich einige bislang offene Rechtsfragen heraus. Fest steht: Auf die nur politische Absichtserklärung und Bekundung des Landtages kann sich die Behörde jedenfalls nicht berufen.

 

Zu den Einwänden im Einzelnen:

 

Der Autarkieeinwand ist möglich durch eine abstrakt-generelle Entscheidung eines Mitgliedsstaates (Art. 11 Abs. 1 VVA) oder durch Einzelfallentscheidung der Behörde (Art. 11 Abs. 2 g) i) VVA). Das Gericht stellte klar, dass die hier zunächst vom Landesverwaltungsamt ins Feld geführte Entscheidung des Landtages keinerlei Rechtswirkungen hat, weil der Landtag nicht die zuständige Stelle nach der VVA ist. Die Behörde hatte allerdings den Autarkieeinwand zusätzlich auch selbst erhoben und damit begründet, es sei weder ersichtlich noch dargelegt, dass der Abfall mit vertretbarem Aufwand nicht auch entstehungsnah entsorgt werden könne.

 

Das Gericht verwarf auch das: Für einen wirksamen eigenen Einwand muss die Behörde dezidiert darlegen und beweisen, aus welchen konkreten Gründen das Autarkieprinzip der beantragten Notifizierung entgegensteht. Sie hatte genau umgekehrt argumentiert und wollte das Unternehmen verpflichten zu belegen, dass keine andere Deponie die Abfälle aufnehmen kann. Zu Unrecht – wie das VG Halle betont. Zudem beurteilte das Gericht den Einwand und seine Begründung durch die Behörde nur als ungenügende abstrakt-generelle Maßnahme, da keine Auseinandersetzung mit der konkreten Notifizierung und der Auslastung der Anlagen vor Ort erfolgt war. Abstrakt-generelle Maßnahmen darf indes nur ein EU-Mitgliedstaat treffen – Art. 11 Abs. 1 VVA – nicht die Genehmigungsbehörde. Das Landesverwaltungsamt hätte außerdem prüfen müssen, ob die Maßnahme überhaupt erforderlich und die Verdrängung inländischen Abfalls zumindest zu befürchten ist.

 

Das Näheprinzip ist als Einwand nur dann einschlägig, wenn die Zielanlage (andere) Abfälle beseitigen muss, die an einem nähergelegenen Ort anfallen und die zuständige Behörde solchen Abfällen Vorrang eingeräumt hat. Dabei ist nicht notwendig auf die nächste nationale Anlage abzustellen, da auch eine grenzüberschreitende Verbringung mit einem kürzeren Weg verbunden sein kann. Über die geografische Nähe hinaus sind auch qualitative Aspekte zu berücksichtigen – etwa der Standard der Anlage. Solche konkreten Erwägungen hatte die Behörde hier in keiner Weise angestellt. Und auch in diesem Zusammenhang war die bloße Willensbekundung des Landtages rechtlich nicht bedeutsam. Mit der Situation an der Zieldeponie hatte sich die Behörde – aus Sicht des Gerichts zu Unrecht – nicht beschäftigt. Jedenfalls nicht zulässig ist der Einwand des Bestimmungsstaates, im Herkunftsmitgliedstaat sei eine näher gelegene Anlage vorhanden, die noch freie Kapazitäten hat. Denn die deutsche Behörde kann nur Entscheidungen betreffend ihr Zuständigkeitsgebiet treffen.

 

Auch der Planeinwand rechtfertigt nach Ansicht des VG Halle schließlich keine Ablehnung der Zulassung: Der hier maßgebliche Abfallwirtschaftsplan befasst sich nur mit Abfällen, die im Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt anfallen und weist ausdrücklich auf dort ausreichend vorhandene Kapazitäten hin. Aus dem Abfallwirtschaftsplan ergibt sich weiter, dass Sachsen-Anhalt sowohl Abfallimport- als auch Abfallexportland ist. Eine konkrete Regelung, gegen die bei Zulassung ausländischen Abfalls verstoßen werden könnte, enthält der Abfallwirtschaftsplan dagegen nicht – eine solche hatte auch die Behörde selbst nicht benannt. Daher kam es auf die weitere, noch offene Frage nicht mehr an, ob der Abfallwirtschaftsplan hätte für verbindlich erklärt werden müssen.

 

Rechtsfolge der unzulässigen Einwände: Anspruch auf Zulassung

 

Damit waren alle Einwände der Behörde rechtswidrig, was das Gericht ausdrücklich feststellte. Fehlt aber ein Sach- und Rechtsgrund für einen Einwand, war die Behörde verpflichtet, die Notifizierung zuzulassen. Das Gericht stellte das ausdrücklich fest und führte aus: „Wenn keiner dieser Einwandgründe vorliegt, müssen die zuständigen Behörden der notifizierten Verbringung zustimmen. Hierbei handelt es sich um eine rechtlich gebundene Entscheidung.“ Das bedeutet, dass die Behörde keinerlei Entscheidungsspielraum hat; die Zulassung muss erteilt werden.

 

Fazit

 

Die zunehmende Abschottung europäischer Abfälle und damit die Beschränkung von innereuropäischer Abfallverbringung sind umfassend rechtlich geregelt. Politische Absichtserklärungen oder Willensbekundungen müssen sich an diesen Regeln messen lassen. Die innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten zuständigen Behörden sind an die Vorgaben des europäisch harmonisierten Abfallrechts gebunden; sie dürfen keine politisch motivierten Entscheidungen treffen.

 

Für die Branche bedeutet die Entscheidung eine klare Richtungsweisung: Rechtsbehelfe gegen rechtswidrige Behördenentscheidungen brauchen zwar ihre Zeit, sind aber unabdingbar für die Entwicklung eines klaren und rechtssicheren innereuropäischen Rechts. Ohne Sachgründe dürfen die Behörden eine Notifizierung nicht ablehnen. Und diese Sachgründe muss die Behörde belegen – nicht das Entsorgungsunternehmen.


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