WISSENSWERTES | 26.03.2024

BVerwG kippt Berliner Höchstgrenze für Zusatzbeiträge an Kitas freier Träger

 

Berlin hatte seit dem 1. September 2018 für Berliner Kindertageseinrichtungen (Kitas) Vereinbarungen über Zusatzbeiträge für von Eltern gewünschte Zusatz­leistungen – z.B. bilinguale Betreuung – auf einen Betrag von monatlich 90,00 Euro beschränkt. Wir hatten schon damals darüber berichtet und (verfassungs-)­rechtliche Bedenken gegen eine solche Regelung angemeldet.

 

Ein freier Träger solcher Kitas hat sich nun im Rahmen der Kostenerstattung gegenüber dem Land Berlin erfolgreich vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) gewehrt. Das Land hatte seine Mittel zur Finanzausstattung dem Träger gegenüber erheblich gekürzt, weil dieser seine Zusatzleistungen über den Betrag von 90 EUR/Monat hinaus beibehalten hatte. Die Vorinstanzen hatten gegen diese Kürzung noch keine Bedenken.

 

Das BVerwG trat dem jedoch mit Urteil vom 26. Oktober 2023 klar entgegen und stellte einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG sowie gegen den Grundsatz der Trägervielfalt fest.

 

Unzulässige Gleichbehandlung

 

Die Berliner Höchstgrenze behandele – hier im Rahmen der Finanzausstattung der Träger – alle freien Träger gleich, obwohl sich die Angebote und Leistungen der Träger ganz erheblich unterscheiden. Dabei spielte es keine Rolle, ob die „Mehr­leistungen“ Inhalte, Methoden oder Arbeitsformen des Trägers betreffen. Im ent­schiedenen Fall bestanden die „Mehrleistungen“ in einer bilingualen Betreuung und einem deutlich höheren Personalschlüssel. Diese unterschiedlichen Leistungen sind nach dem BVerwG als unterschiedliche Vergleichsgruppen zu definieren, die unter dem Gebot der Gleichbehandlung eine unterschiedliche Behandlung verlangen. Denn Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es nicht nur, Gleiches gleich zu behandeln, sondern auch Ungleiches zu differenzieren – also gerade nicht gleich zu behandeln.

 

Gebot der Trägervielfalt

 

Hierbei sei das bundesgesetzliche Gebot der Trägervielfalt aus § 3 Abs. 1 SGB VIII zu berücksichtigen. Die Regelungen müssen deshalb am strengen Maßstab des Ver­hältnismäßigkeitsgrundsatzes gemessen werden, um eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.

 

Beide Vorgaben schützen jeden einzelnen Träger gerade davor, dass die von ihm für angebracht gehaltenen pädagogischen Konzepte sich im Rahmen der öffentlichen Finanzierung nachteilig auswirken. Entscheidend ist, ob die Zusatzangebote nach ihrem von dem jeweils betroffenen freien Träger bestimmten Inhalt und Umfang von diesem finanziell getragen werden können. Das verpflichte zwar das Land nicht stets zu höheren Finanzausstattungen, aber eben doch zu einer Berücksichtigung der vom Träger gewählten Inhalte, Methoden und Arbeitsformen.

 

Pluralitätsprinzip

 

Zudem ist das Land gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII zum Schutz der Selbstständig­keit der freien Jugendhilfe verpflichtet (sog. „Pluralitätsprinzip“). Danach hat die öffentliche Jugendhilfe bei der Zusammenarbeit mit freien Trägern deren Selbst­ständigkeit in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben sowie in der Gestal­tung ihrer Organisationsstruktur zu achten. Daraus ergibt sich auch, dass die freien Träger grundsätzlich frei sind in der Festlegung ihrer Aufgaben. Und das wiederum schließt das Recht ein, ein “Mehr” gegenüber dem Angebot der öffentlichen Jugend­hilfe oder anderen Trägern zu leisten und auch autonom die Finanzierbarkeit eines solchen Zusatzangebots herstellen zu können. Exakt dies aber lasse die verbindliche Höchstgrenze von 90 EUR/Monat unberücksichtigt.

 

Ohne Wahlrechte liefe der Gedanke einer Vielfalt von Angeboten weitestgehend leer und könnte das Prinzip der Trägerpluralität seine volle Wirkungsweise nicht ent­falten. Das Gleiche gilt aber auch umgekehrt, weshalb das Wunsch- und Wahlrecht auch Auswirkungen auf die Förderung von freien Trägern hat.

 

Berufsfreiheit verlangt strenge Verhältnismäßigkeit

 

Soweit hier also das Land sein Fördersystem an Merkmale angeknüpft hat, die vom Pluralitätsprinzip der §§ 3 ff. SGB VIII erfasst werden, bedarf eine darauf beruhende Ungleichbehandlung eines freien Trägers einer Rechtfertigung in Gestalt eines hin­reichend tragfähigen sachlichen Grundes. Nach dieser Maßgabe ist hier die Wahl eines entsprechenden Differenzierungskriteriums durch den Landesgesetzgeber und dessen Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht auf eine bloße Vertret­barkeitskontrolle (Willkürprüfung) beschränkt, sondern es ist eine strenge Verhält­nismäßigkeitsprüfung nötig. Dies sei auch geboten, weil mit den Regelungen ein Eingriff in die Berufsfreiheit der betroffenen Träger aus Art. 12 Abs. 1 GG vorläge. Auch die danach mögliche Auswirkung der Ungleichbehandlung auf ein spezielles Freiheitsgrundrecht veranlasst regelmäßig ihre strengere Prüfung anhand von Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten.

 

Danach ist hier die Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt. Sie verfolge zwar ein legitimes Ziel und ist zu dessen Erreichung ebenso geeignet wie erforderlich. Jedoch erweist sie sich nicht als angemessen.

 

Das gesetzgeberische Ziel des Landes habe in einer Senkung der Schwelle für die Inanspruchnahme von Kinderbetreuungsleistungen bestanden. Hierdurch sollte die Chancengleichheit aller Kinder gewährleistet werden. Letztlich ging es dem Land also darum, ökonomische Hindernisse für den Zugang zu den Kita-Plätzen weit­gehend abzubauen, und zwar auch soweit es um Zuzahlungen für besondere Trägerleistungen geht.

 

Dies sei ein legitimes Ziel und die Aufstellung einer betragsmäßigen Höchstgrenze hierzu auch grundsätzlich geeignet. Jedoch ist eine Ungleichbehandlung (= Gleich­behandlung der Träger trotz verschiedener Leistungen) nur dann angemessen, wenn die mit ihr einhergehende Schlechterstellung nach Ausmaß und Intensität in angemessenem Verhältnis zur Bedeutung des mit der Differenzierung verfolgten Ziels und zu dem Ausmaß und Grad der Zielerreichung steht. Eine übermäßige und unzumutbare Belastung ist unangemessen.

 

Dabei müssen die Art und Schwere der Beeinträchtigung sowie die Auswirkungen auf die Betroffenen festgestellt werden. Sie sind der Bedeutung der Ungleich­behandlung für das mit ihr verfolgte Ziel gegenüberzustellen. Die gewonnenen Befunde sind schließlich in eine Abwägung einzustellen.

 

Danach erweist sich die Höchstgrenze als unangemessen, weil sie das vom Bundesgesetzgeber mit einem hohen Rang ausgewiesene Rechtsgut der Träger­pluralität bei Überschreiten der Zuzahlungshöchstgrenze ausnahmslos zurücktreten lässt und nicht berücksichtigt, ob der jeweilige freie Träger zur Verwirklichung seiner gewählten pädagogischen Zielsetzung zwingend auf eigene Einnahmen ange­wiesen ist, die er durch Zuzahlungen decken will. Die mit der Regelung verbundene Ungleichbehandlung berührt in erheblicher Weise die Grundsätze der Träger­pluralität und Trägerautonomie.

 

Vereitelung des pädagogischen Konzepts

 

Da die staatliche Finanzausstattung der Kitas anerkannter freier Träger eine gesetzliche Verpflichtung der öffentlichen Hand ist, erfolgt somit faktisch durch die Höchstgrenze eine Alleinfinanzierung der freien Träger für die Kinderbetreuung: Einem freien Träger mit entsprechendem Einnahmenbedarf bleibt letztlich nur der Verzicht auf eine staatliche (Teil-)Finanzierung, um Zusatzbeiträge von den Eltern erheben zu können. Andernfalls würde die Verwirklichung eines von den §§ 3 ff. SGB VIII geschützten pädagogischen Konzepts praktisch vereitelt.

 

Damit gewährleistet das Berliner Fördersystem aber nicht mehr, dass sich pädagogische Konzepte der Träger im Rahmen der öffentlichen Finanzierung nicht nachteilig auswirken. Denn der Grundsatz der Trägerpluralität zielt weder auf eine Majorität der Träger noch auf eine von ihnen erbrachte Durchschnittsleistung und damit auch nicht darauf, was eine Mehrheit oder der Durchschnitt von ihnen an pädagogischen (Zusatz-)Angeboten für erforderlich hält. Erst recht kommt es diesbezüglich nicht auf Ansichten des Landes an.

 

Für Freie Träger, die für die Durchführung besonderer pädagogischer Angebote zwingend auf höhere Zuzahlungen angewiesen sind, weil eine andere Finanzierung nicht zur Verfügung steht, führt dies dazu, dass für sie die Schutzfunktion des Pluralitätsprinzips (und seine Schutzreflexe auf das Wunsch- und Wahlrecht der diese Angebote nachfragenden Eltern) insoweit nicht mehr zum Tragen kommt.

 

Förderverein keine geeignete Alternative

 

Die vom Land als Lösung vorgeschlagene Finanzierung über einen Förderverein greift wiederum in das Selbstbestimmungsrecht des Trägers aus § 4 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII ein: Weder kann er gezwungen werden, einen solchen Verein zu gründen, noch können solche Mittel angesichts des freiwilligen Charakters einer Vereins­mitgliedschaft oder von an den Verein geleisteter Spenden vertraglich verbindliche Zahlungen der Eltern in verlässlicher Weise ersetzen.

 

Auswirkungen auf elterliches Wunsch- und Wahlrecht

 

Das wirkt sich zugleich in einschneidender Weise auf das Wunsch- und Wahlrecht (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) derjenigen Eltern aus, die ihren Kindern gerade den Besuch von Kindertagesstätten mit entsprechenden Konzepten ermöglichen möchten.

 

Unerheblich in diesem Verfahren war übrigens, dass die Regelungen zur Kürzung der Finanzierung bei Überschreiten der Höchstgrenze von 90 EUR/Monat nicht in einer gesetzlichen Regelung erfolgt waren, sondern nur in einer sog. Rahmen­vereinbarung, der die freien Träger beitreten konnten bzw. mussten. Dem Beitritt zu einer solchen Vereinbarung fehle die Freiwilligkeit. Aufgrund der Ausgestaltung und normativen Verbindlichkeit sowie des faktischen Kontrahierungszwangs habe nämlich keine vertragliche Vereinbarung vorgelegen, sondern ein sog. Norm­vertrag. Dafür müssen aber dieselben Grundsätze und Vorgaben gelten wie für eine gesetzliche Regelung.


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