WISSENSWERTES | 26.03.2018

Werkvertragsrecht: Das Aus für fiktive Mangelbeseitigungskosten

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer wegweisenden Grundsatzentscheidung vom 22. Februar 2018 (Az. VII ZR 46/17) der seit Jahrzehnten bestehenden Auffassung, wonach im Werkvertragsrecht der Schaden des Bestellers wegen eines Mangels nach den fiktiven Mangelbeseitigungskosten bemessen werden kann, jüngst eine klare Absage erteilt. Er hat dafür auch seine eigene bisherige Rechtsprechung revidiert.

Zu entscheiden war folgender verkürzt dargestellter Sachverhalt

Ein Ehepaar hatte bei der Errichtung eines Eigenheims die Natursteinarbeiten im Außenbereich von einem Architekten planen und überwachen lassen. Durch einen Handwerker wurden auf Grundlage dieser Planung Natursteinplatten verlegt. Etwa 2 Jahre nach Fertigstellung der Arbeiten zeigten sich unter anderem Risse und Ablösungserscheinungen der Platten. Das Ehepaar nahm daraufhin das bauausführende Unternehmen auf Zahlung eines Kostenvorschusses in Höhe der voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten abzüglich eines Mitverschuldensanteils wegen eines Planungsfehlers des Architekten sowie diesen als Gesamtschuldner auf Schadensersatz in Höhe der voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten wegen Planungs- und Bauüberwachungsfehlern in Anspruch.

Der Klage wurde erstinstanzlich stattgegeben. Im Laufe des Berufungsverfahrens veräußerte die Klägerin noch vor Beseitigung der Mängel das Grundstück und stellte ihre Klage gegen den Handwerker um. Sie forderte fortan von ihm auf Grundlage der bisherigen BGH-Rechtsprechung Schadensersatz in Höhe der fiktiven Mangelbeseitigungskosten. Das Berufungsgericht sprach diesen zu und wies die Berufung des Handwerkers und des Architekten im Wesentlichen ab. Es ließ jedoch zur Ermittlung der Schadenshöhe die Revision zum BGH zu.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hob das Berufungsurteil auf und verwies das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurück. Dabei gibt er ausdrücklich seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach der Besteller seinen Schaden wegen eines Mangels nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen kann. Er begründet dies damit, dass der Besteller, der sich dafür entscheidet, das mangelhafte Werk zu behalten und Schadensersatz statt der Leistung geltend macht (sog. kleiner Schadensersatz), nur Ersatz in Geld verlangen kann, soweit er durch den Mangel einen Vermögensschaden erleidet. Lässt er den Mangel nicht im Wege der Selbstvornahme beseitigen (dann stellen die Kosten dafür den Schaden dar), ist der bereits durch den Mangel des Werks selbst entstandene Vermögensschaden festzustellen und in Geld zu bemessen.

Zusätzlich stellt der BGH klar, dass auch im Verhältnis zum Architekten hinsichtlich der von ihm zu vertretenden Planungs- oder Überwachungsfehler, die sich im Bauwerk bereits verwirklicht haben, ein Zahlungsanspruch in Höhe der fiktiven Mängelbeseitigungskosten ausscheidet.

Folgen der Entscheidung und verbleibende Handlungsmöglichkeiten

Der bisherigen Praxis, dass der Besteller das Werk behält und trotz Zahlung der fiktiven Mangelbeseitigungskosten den Mangel nicht oder kostengünstiger beseitigen lässt, ist damit ab sofort ein Riegel vorgeschoben. Der Besteller hat nun noch folgende Möglichkeiten, auf Zahlung gerichtete Ansprüche wegen Mängeln geltend zu machen:

Ansprüche gegen den Unternehmer

  • Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel beseitigen lässt, kann die von ihm tatsächlich aufgewandten Mängelbeseitigungskosten wie jeher als Schaden vom Unternehmer ersetzt verlangen. Vor Begleichung der Kosten kann der Besteller Befreiung von den zur Mängelbeseitigung eingegangenen Verbindlichkeiten verlangen.
  • Darüber hinaus hat der Besteller, der Schadensersatz statt der Leistung in Form des sog. kleinen Schadensersatzes bereits einmal verlangt hat, seit dieser Entscheidung grundsätzlich weiterhin das Recht, später Vorschuss zur Mangelbeseitigung zu fordern, wenn er sich entscheidet, den Mangel beseitigen zu lassen. Über den Vorschuss ist nach Beseitigung des Mangels abzurechnen.
  • Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, kann den Schaden in der Weise bemessen, dass er im Wege einer Vermögensbilanz die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert der Sache ohne Mangel und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel ermittelt. Hat der Besteller die durch das Werk geschaffene oder bearbeitete Sache veräußert, ohne dass eine Mängelbeseitigung vorgenommen wurde, kann er den Schaden nach dem konkreten Mindererlös wegen des Mangels der Sache bemessen.
  • Der Schaden kann auch in der Weise bemessen werden, dass ausgehend von der für das Werk vereinbarten Vergütung der Minderwert des Werks wegen des Mangels geschätzt wird. Der Minderwert entspricht dabei jedoch nach neuer Auffassung des BGH – anders als bisher – nicht den voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten.

Ansprüche gegen den Architekten

  • Lässt der Besteller den Mangel des Bauwerks nicht beseitigen, kann er seinen Schaden gegenüber dem Architekten im Wege einer Vermögensbilanz nach dem Minderwert des Bauwerks im Vergleich zu dem hypothetischen Wert des Bauwerks bei mangelfreier Architektenleistung bemessen oder gegebenenfalls – bei Veräußerung des Objekts – nach dem konkreten Mindererlös.
  • Hat der durch die mangelhafte Architektenleistung verursachte Mangel des Bauwerks zur Folge, dass eine Störung des Äquivalenzverhältnisses des Bauvertrags vorliegt, kann der Besteller stattdessen seinen Schaden auch in der Weise bemessen, dass er ausgehend von der mit dem Bauunternehmer vereinbarten Vergütung den mangelbedingten Minderwert des Werks des Bauunternehmers ermittelt.
  • Lässt der Besteller den Mangel des Bauwerks beseitigen, sind die von ihm aufgewandten Mangelbeseitigungskosten als Schaden vom Architekten zu ersetzen. Vor Begleichung der Kosten kann der Besteller Befreiung von den eingegangenen Verbindlichkeiten verlangen.
  • Darüber hinaus hat der Besteller wegen Planungs- oder Überwachungsfehlern, die sich im Bauwerk bereits verwirklicht haben, einen Schadensersatzanspruch auf Vorfinanzierung in Form der vorherigen Zahlung eines zweckgebundenen und abzurechnenden Betrags gegen den Architekten.

Praxistipp

Die sehr gut begründete Entscheidung ist konsequent und folgt einer bereits zuvor in der baurechtlichen Literatur vertretenen Auffassung. Die Entscheidung wird zu einem erheblichen Umdenken in der Baupraxis führen, da der Besteller bei Belassen des Mangels nur in geringerem Umfang als bisher Schadensersatzzahlungen erhalten kann. Diese erfordern die Ermittlung einer Vermögensbilanz, die oftmals schwierig aufzustellen sein wird. Es ist deshalb zu vermuten, dass die Besteller künftig häufiger Kostenvorschussansprüche zur Mangelbeseitigung geltend machen werden – freilich verbunden mit der Last der Abrechnungspflicht. Ob damit die Position des Unternehmers und des Architekten verbessert wird, erscheint fraglich. Jubel dürfte daher auf beiden Vertragsseiten nicht angezeigt sein.

Dazu, wie Sie Ihre Ansprüche rechtssicher geltend machen und erfolgreich durchsetzen, beraten wir Sie gern.

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