WISSENSWERTES | 22.02.2016

Presserechtlicher Auskunftsanspruchs über Verträge

Keine Flucht ins Privatrecht: Umfang des presserechtlichen Auskunftsanspruchs über Verträge kommunaler Unternehmen

Ein Journalist kann auf der Grundlage des Landespressegesetzes von einem privaten Unternehmen der Daseinsvorsorge, das durch die öffentliche Hand beherrscht wird, Auskunft über den Abschluss und die Abwicklung von Verträgen mit Dienstleistern verlangen, um über verdeckte Wahlkampffinanzierungen zu recherchieren. Das hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. Dezember 2015 entschieden (Az. 11 U 5/14). Die Gründe sind abrufbar unter

Urteil OLG Hamm, Az. 11 U 5/14

Der klagenden Journalist verlangte vom beklagten Unternehmen, einer Aktiengesellschaft, die im Bereich der kommunalen Trinkwasserversorgung, Energieversorgung und Abwasserentsorgung tätig ist, detaillierte Auskunft über Abschluss, Inhalt, erbrachte Leistungen und Vergütung von Verträgen, die das Unternehmen mit verschiedenen Dienstleistern bzw. hinter diesen stehenden Personen abgeschlossen hatte. Er stützte sich dabei auf das Landespressegesetz Nordrhein-Westfalen und machte geltend, dass die Dienstleister für Internetblogs tätig geworden seien. Dadurch werde der Verdacht begründet, das kommunale Unternehmen habe die Blogs über die mit den Dienstleistern abgeschlossenen Verträge indirekt finanziell unterstützt. Darin könnte eine verdeckte Wahlkampffinanzierung liegen.

Das Unternehmen hatte diesen Vorwurf bestritten und gegenüber dem Journalisten umrissen, in welchem Umfang die Dienstleister für das Unternehmen tätig waren. Die verlangte detaillierte Auskunft hatte es allerdings unter Hinweis auf seine Geschäftsgeheimnisse allerdings verweigert und die Auffassung vertreten, dass der Kläger insoweit kein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse mehr verfolge.
Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm, die derzeit noch nicht rechtskräftig ist (Revisionsverfahren beim BGH unter dem Aktenzeichen I ZR 13/16 anhängig), war die Klage weitgehend erfolgreich.

Presserechtlicher Behördenbegriff

Das kommunale Unternehmen sei als Behörde im Sinne des Landespressegesetzes zur Auskunft verpflichtet, auch wenn es als Aktiengesellschaft organisiert sei und privatrechtlich tätig werde. Denn dem Landespressegesetz unterfielen auch juristische Personen des Privatrechts, wenn sich die öffentliche Hand ihrer zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben bediene. Das treffe auf das kommunale Unternehmen zu. Es werde von der öffentlichen Hand beherrscht und erfülle Aufgaben der Daseinsvorsorge.

Recherchefreiheit

Der Journalist verlange die Auskünfte, um eine öffentliche Aufgabe der Presse zu erfüllen. Er wolle sie zur Mitwirkung an der öffentlichen Meinungsbildung auswerten. Es sei hinzunehmen, wenn die Presse auf einen bloßen Verdacht hin recherchiere und auch nicht zu bewerten, ob ein öffentliches Interesse an der Auskunftserteilung bestehe. Andernfalls bestehe die Gefahr einer verbotenen Zensur. Die vom Kläger vorgetragene Verdachtsgrundlage begründe – im Umfang des vom Senat zuerkannten Auskunftsbegehrens – eine zulässige journalistische Recherche und gebe keinen Grund zu der Annahme, der Journalist verfolge lediglich private Interessen oder handle aus bloßer Neugier.

Abwägung trotz Auskunftsverweigerungsrecht

Die im Landespressegesetz genannten Gründe, die die Behörde zur Auskunftsverweigerung berechtigten, seien im vorliegenden Fall zwar einschlägig, griffen aber im Ergebnis nicht durch. Der Kläger verlange die Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen des kommunalen Unternehmens, weil dieses auch Vertragskonditionen und Kalkulationen preisgeben solle. Insoweit überwiege aber das Interesse der Presse an einer Offenlegung gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Beklagten. Bei dem Verdacht einer indirekten Parteien- oder Wahlkampffinanzierung habe das Informationsinteresse der Presse ein erhebliches Gewicht. Zu geschäftlichen Nachteilen nach der Offenlegung der verlangten Informationen hingegen habe das kommunale Unternehmen wenig vorgetragen.

Fazit

Nach den in allen Bundesländern geltenden Landespressegesetzen (zu den mitteldeutschen Bundesländern vgl. § 4 PresseG Sachsen; § 4 PresseG Sachsen-Anhalt und § 4 PresseG Thüringen) ist Auskunft zu erteilen, wenn sie der Presse zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dient. Diese – einzige – Tatbestandsvoraussetzung liegt im Zweifel immer vor und ist kaum justitiabel. Die Auskunft kann nur ausnahmsweise verweigert werden, z.B. aus Gründen der Geheimhaltung, des Persönlichkeitsschutzes, bei Beeinträchtigung eines schwebenden Verfahrens oder überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen. Diese Gründe müssen ganz konkret dargelegt und im Prozess notfalls auch belegt werden. Selbst wenn sie vorliegen, ist zwingend noch zusätzlich eine Abwägung mit den von dieser darzulegenden Interessen der Presse – praktisch gleichbedeutend mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit – erforderlich. Das Ergebnis ist in jedem Einzelfall offen.

Werden Behörden oder kommunale Unternehmen mit presserechtlichen Auskunftsansprüchen konfrontiert, sollten sehr sorgfältig und einzelfallbezogen sowohl die Gründe des Auskunftsersuchens als auch die einer Auskunft ggf. entgegenstehenden Tatsachen ermittelt und bewertet werden. Hier ergibt sich regelmäßig ein großer argumentativer Spielraum. Erst anschließend ist abzuwägen und zu entscheiden.


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