WISSENSWERTES | 25.09.2017

Internethandel: Selektives Vertriebssystem und Kartellrecht, Art. 101 AEUV

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Luxuswaren sind meist markenrechtlich sogar vor Rufausbeutung geschützt. Sie werden deshalb im Rahmen selektiver Vertriebssysteme, d.h. über autorisierte (Vertrags-)Händler angeboten. Die Händler müssen dann häufig umfassende und sehr detaillierte Vorgaben hinsichtlich Umgebung, Ausstattung und Einrichtung ihrer Geschäfte einhalten. Solche Vertriebsverträge sind üblich und grundsätzlich auch nicht (kartell-)rechtlich zu beanstanden. Die Waren werden nicht nur in Ladengeschäften, sondern auch über das Internet vertrieben. Kunden erwarten dort in der Regel auch ein preisgünstigeres Angebot. Die Hersteller haben deshalb ihre strengen Vorgaben für den stationären Handel längst auch auf den Internet-Vertrieb ausgeweitet. Eine nicht unumstrittene Ausprägung dessen mit unmittelbaren praktischen Konsequenzen ist das Verbot der Vermittlung von Verkäufen – selbst solchen von Vertragshändlern – über Preissuchmaschinen und/oder andere Drittplattformen.

Prüfungsmaßstab Art. 101 AEUV

Über die kartellrechtliche Zulässigkeit einer solchen Konstellation nach Art. 101 Abs. 1 AEUV wird auf Vorlage des Oberlandesgerichts Frankfurt demnächst der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache C-230/16 – Coty Germany GmbH gegen Parfümerie Akzente GmbH – entscheiden. Dazu liegen seit kurzem die in einem solchen Verfahren üblichen Schlussanträge des Generalanwalts vor, der das Verkaufsverbot für Waren auf Drittplattformen unter bestimmten Bedingungen – die er für gegeben hält – als zulässig ansieht.

Im zu entscheidenden Fall bestimmten die Vertriebsbedingungen, dass das Internet-Geschäft als „elektronisches Schaufenster“ des autorisierten Ladengeschäfts zu führen ist. Dabei bleibt der Luxuscharakter der Produkte gewahrt. Außerdem sollte es verboten sein, für den Verkauf der Vertragswaren im Internet nicht-autorisierte Drittunternehmen „nach außen erkennbar“ einzuschalten.

Nach im Ansatz durchaus richtiger Ansicht des Generalanwalts muss ein zulässiges selektives Vertriebssystem drei Kriterien erfüllen:

• die Auswahl der Wiederverkäufer muss diskriminierungsfrei anhand objektiver Gesichtspunkte erfolgen;
• die Natur der Ware einschließlich ihres Images muss zur Wahrung der Qualität und der Gewährleistung des richtigen Gebrauchs einen selektiven Vertrieb erfordern;
• die dabei festgelegten Kriterien dürfen nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.

All das bejaht der Generalanwalt im fraglichen Fall. Er stellt im Rahmen der Angemessenheitsprüfung darauf ab, dass die Vertragsklausel dem Händler lediglich die „nach außen erkennbare“ Einschaltung eines Dritten verbieten würde.

Diese Ansicht erscheint eher fraglich. Es ist schon kaum nachvollziehbar, weshalb ein selektiver Vertrieb „zur Wahrung der Qualität“ oder gar der „Gewährleistung eines richtigen Gebrauchs“ eines Parfüms überhaupt erforderlich sein soll. Erst recht aber überzeugt nicht, dass dazu Drittplattformen ausgeschlossen werden müssen, die – so etwa im Fall von Preissuchmaschinen – letztlich nur auf das (Internet-)Angebot des Vertragshändlers verweisen und dessen Erreichbarkeit erhöhen – mit dem Effekt einer Absatzsteigerung.

Schutz selektiver Vertriebssysteme durch Marken- und Urheberrecht

Zum selben Problemkreis gehören marken- und urheberrechtliche Nutzungsbeschränkungen in selektiven Vertriebsverträgen. Letztere gestatten zwar die Nutzung eines Produktfotos auf den eigenen Internetseiten (auf die urheberrechtlich zulässig verlinkt werden dürfte), verbieten es aber, dieselben Aufnahmen Drittplattformen – etwa Preissuchmaschinen – für deren vermittelnde Angebote zur Verfügung zu stellen. In einem solchen Fall hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf erst jüngst eine umfassend begründete Entscheidung des Bundeskartellamts (BKartA) aus dem Jahr 2015 bestätigt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. April 2017, Az. VI-Kart 13/15). Dabei ging es um Klauseln, die Händlern die Verwendung des geschützten Markenzeichens des Herstellers auf der Internetseite eines Dritten verbieten und nach denen Preisvergleichsmaschinen nicht durch Bereitstellen anwendungsspezifischer Schnittstellen unterstützt werden dürfen. Das OLG Düsseldorf beurteilte dies, ebenso wie schon zuvor das BKartA zutreffend als (unzulässige) bezweckte Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 101 Abs. 1 AEUV.

Ausblick

Die oben dargestellte Beurteilung des Generalanwalts ist aus Sicht von Plattform- und Suchmaschinenbetreibern eher ein Rückschritt. Weil der EuGH regelmäßig der Ansicht des Generalanwalts folgt, ist zu befürchten, dass er die sich ihm hier bietende Chance einer gewissen „Liberalisierung“ durch eine strengere kartellrechtliche Beurteilung selektiver Vertriebssysteme vertut. Das wäre bedauerlich, nicht nur für den freien Warenverkehr in der Union, sondern auch für die potenziellen Käufer der Produkte.

Wie so oft wird es am Ende auf die konkrete Ausgestaltung des vertraglichen Verbots ankommen. Unbefriedigend ist das in jedem Fall für den wegen einer Marken- oder Urheberrechtsverletzung vom Hersteller in Anspruch genommenen Vermittler, der die Vereinbarungen mit dem Vertragshändler in der Regel gar nicht kennt.

Tipp: Kartellrechtlich argumentieren

Die geschilderte kartellrechtliche Problematik kann dennoch ein Ansatzpunkt sein, um etwaigen Forderungen von Herstellern entgegenzutreten. Das kann Abgemahnten zumindest im Rahmen von Vergleichslösungen zu wirtschaftlich noch vertretbaren Lösungen verhelfen.


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