WISSENSWERTES | 11.12.2017

Handlungsbedarf 2018: Neue EU-Anforderungen für Schutz von Know-How und Geschäftsgeheimnissen

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Von vielen unbeachtet kommen demnächst einschneidende Veränderungen auf Unternehmen aller Größen und nicht kommerzielle Forschungseinrichtungen zu, die im EU-Binnenmarkt tätig sind und deren wirtschaftlicher Erfolg wesentlich auf ihrem Know-How und/oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen beruht. Ursache ist die bereits im Juni 2016 verabschiedete Richtlinie (EU) 2016/943 über den Schutz vertraulichen Know-Hows und vertraulicher Geschäftsinformationen. Deren Regelungen müssen bis zum 9. Juni 2018 in nationales Recht umgesetzt werden; Deutschland arbeitet bereits an einem Gesetzentwurf. Damit einhergehen wird eine grundlegende Veränderung des derzeit in Deutschland geltenden Schutzregimes, die bei den Unternehmen zu ganz erheblichem Prüfungs- und Anpassungsbedarf führen wird. Das dürfte ebenso für öffentlich-rechtliche Einrichtungen, kommunale Eigenbetriebe und Unternehmen der öffentlichen Hand gelten, denn diese sind nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen.

Bisheriges deutsches Recht: Quasi automatischer Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen

Die Besonderheit des Geheimnisschutzes im deutschen Recht besteht bislang darin, dass dieser an im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) angesiedelten Strafvorschriften anknüpft, §§ 17, 18, 19 UWG. Verletzungen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sind daher in erster Linie eine Straftat und als solche von den Strafverfolgungsbehörden zu prüfen. Das Zivilrecht kommt nur mittelbar zum Zuge, indem etwa Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche über eine sog. Schutzgesetzverletzung nach § 823 Abs. 2 BGB geltend gemacht werden können. Dieser rechtliche Umweg wirft zahlreiche dogmatische und praktische Fragen auf. Hinzu kommt, dass Know-How bislang in der Regel nur vertraglich geschützt werden kann. Der deutsche Geheimnisschutz ist Marktverhaltensrecht, kein Immaterialgüterrecht wie etwa das Patent- oder Urheberrecht. Ob das den Verpflichtungen Deutschlands innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) genügt, insbesondere der Vorschrift des Art. 39 Abs. 2 des „Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums“ (TRIPS), ist schon jetzt mehr als zweifelhaft.

Schutzvoraussetzungen nach UWG

Zu den teils komplizierten Voraussetzungen eines Geheimnisschutzes in Deutschland gehört bislang keine Verpflichtung zur Dokumentation und/oder einer Registrierung. Vielmehr wird, ähnlich wie im Urheberrecht, die Entstehung des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen quasi automatisch angenommen, weil das in diesem Zusammenhang zentrale Merkmal des sog. Geheimhaltungswillens bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen von der Rechtsprechung unterstellt wird (so zuletzt etwa BGH, Urteil vom 4. September 2013, Az. 5 StR 152/13 sowie schon BGH, Urteil vom 27. April 2006, Az. I ZR 126/03). Materiell-rechtlich muss ein Geheimnisinhaber nach bisherigem Recht also im Regelfall dazu im Prozess nichts darlegen und beweisen.

Neuregelung nach Richtlinie (EU) 2016/943: Geheimhaltungsmaßnahmen nötig

Das wird mit dem Inkrafttreten der EU-Richtlinie 2016/943 grundlegend anders. Diese maßgeblich von US-amerikanischem Recht geprägte Richtlinie, deren Urtext in Englisch verfasst und deshalb auslegungsbestimmend sein wird, ist bis zum 8. Juni 2018 in deutsches Recht umzusetzen. Sie sieht eine Mindestharmonisierung vor und beinhaltet zahlreiche Neuerungen, die auch Gegenstand des deutschen Umsetzungsgesetzes sein werden. Davon sind folgende ganz wesentlich:

  1. Um ein Geschäftsgeheimnis („trade secret“) handelt es sich nach Art. 2 Nr. 1 c) der Richtlinie künftig nur noch bei Informationen, die Gegenstand von „den Umständen entsprechenden angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“ sind. Ein subjektiver Geheimhaltungswille, noch dazu ein vermuteter, genügt dann nicht (mehr). Praktisch bedeutet dies, dass der Abschluss von Vertraulichkeitsvereinbarungen eine zentrale Grundvoraussetzung des Geheimnisschutzes werden wird.
  2. Ein Geheimnis ist künftig nur geschützt, wenn der Wert im Geheimnis selbst liegt, Art. 2 Nr. 1 b) der Richtlinie. Es wird also künftig notwendig werden, den Wert von Geheimnissen zu bilanzieren, um Ansprüche begründen zu können. Anderenfalls kommt eine erfolgversprechende gerichtliche Geltendmachung nicht in Betracht.
  3. Schließlich schreibt der maßgebliche englische Text von Art. 2 Nr. 1 c) der Richtlinie nicht nur einmalige Geheimhaltungsmaßnahmen, sondern permanente Bemühungen vor. Denn er verlangt: „reasonable steps under the circumstances, by the person lawfully in control of the information, to keep it secret”. Die richtlinienkonforme Herstellung eines „Einmalzustands“ reicht also nicht aus.

Weitere dramatische Abweichungen zum bisherigen deutschen Recht sind beispielsweise, dass es künftig wohl keine Ausnahme mehr für sog. „Wissen im Geiste“ gibt, also für das „Know-How“, welches ein Mitarbeiter von einer zur anderen Arbeitsstelle im Kopf mitnimmt. Die – mindestharmonisierende – Richtlinie sieht eine Entschädigung auch für schuldloses Verhalten vor. Neu ist ebenfalls, dass ein unter Verletzung eines Geheimnisses hergestelltes und vertriebenes Produkt durch die Geheimnisverletzung „infiziert“ werden kann.

Handlungsempfehlung

All das wird für die Unternehmen bedeuten, dass sie neben den üblichen Compliance-Maßnahmen und den sich aus der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ergebenden Anforderungen nun auch noch ein Geheimnisschutz-Management implementieren müssen.

Nicht nur das Unternehmen selbst, sondern auch deren Geschäftspartner treffen künftig gesteigerte Sorgfaltspflichten. Das gilt nicht nur nach außen, sondern auch im Verhältnis zu (künftigen) Mitarbeitern. Hier muss sich der Konkurrent eines etablierten Herstellers, an dessen Produkte sich der Neuling „anlehnen“ möchte, gegebenenfalls von abgeworbenen Mitarbeitern ausdrücklich versichern lassen, dass diese in seinem Betrieb nicht mit geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ihres früheren Arbeitgebers arbeiten.

Kern der Erfordernisse wird es jedoch sein, Vertraulichkeitsvereinbarungen zu schließen – und zwar sowohl mit Dritten als auch mit den eigenen Mitarbeitern. Dabei stellen sich eine Reihe weiterer Fragen, etwa die Zulässigkeit nach AGB-Recht oder die von Vertragsstrafen. Wir beraten Sie gerne dabei.


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