WISSENSWERTES | 09.07.2018
G-BA Beschluss zur Notfallversorgung vs. Arbeitszeitrecht
Das Thema Notfallversorgung wird angesichts der stetig steigenden Inanspruchnahme von Notaufnahmen immer wieder kontrovers diskutiert. Um die stationäre Notfallversorgung zukünftig auch in strukturschwachen Gebieten zu sichern und die Finanzierung zielgenauer und gerechter gestalten zu können, hat der Gesetzgeber den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in § 136 c SGB V mit der Erarbeitung eines gestuften Systems von Notfallstrukturen in Krankenhäusern beauftragt. Hier gilt es insbesondere festzulegen, was Gegenstand einer solchen Notfallversorgung ist und in welchen Stufen welche Anforderungen an Ausstattung und Personal bestehen. Über finanzielle Zuschläge soll eine Unterstützung für die Vorhaltung von Notfallstrukturen erfolgen. Bei einer Nichtbeteiligung an der Notfallversorgung sind Abschläge zu erheben.
G-BA Beschluss vom 19. April 2018
Diesem Auftrag folgend hat der G-BA in seiner Sitzung am 19. April 2018 Regelungen zu Notfallstrukturen in Krankenhäusern beschlossen. Danach können Krankenhäuser, die Notfallpatienten stationär versorgen, künftig der Höhe nach gestaffelte Zuschläge erhalten. Dafür müssen sie bestimmte Mindestanforderungen erfüllen.
Für die Zuordnung in die Basisnotfallversorgung (Stufe 1) muss ein Krankenhaus mindestens über die Fachabteilungen Chirurgie/Unfallchirurgie sowie Innere Medizin verfügen. Für eine möglicherweise angezeigte Intensivbetreuung muss eine Intensivstation mit der Kapazität von mindestens sechs Betten vorhanden sein, von denen mindestens drei zur Versorgung beatmeter Patienten ausgestattet sind. In der Zentralen Notaufnahme muss ein strukturiertes und validiertes System zur Behandlungspriorisierung bei der Erstaufnahme von Notfallpatienten zur Anwendung kommen und der Notfallpatient spätestens 10 Minuten nach der Aufnahme dazu informiert werden. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass innerhalb von 30 Minuten jeweils ein Facharzt im Bereich Innere Medizin, Chirurgie und Anästhesie am Patienten verfügbar ist.
Die Neuregelung erhält darüber hinaus zwei weitere Stufen für eine erweiterte (Stufe 2) und eine umfassende Notfallversorgung (Stufe 3), die vor allem durch Maximalversorger oder Unikliniken abgedeckt werden dürfte.
Verfügbarkeit eines Facharztes innerhalb von 30 Minuten – Rufbereitschaft
Zur Anforderung, dass innerhalb von maximal 30 Minuten ein Facharzt am Bett des kritisch kranken Patienten verfügbar sein muss, führt der G-BA in der Begründung seines Beschlusses aus, davon auszugehen, dass dies im Rahmen des Rufbereitschaftsdienstes gewährleistet werden kann. In dieser Pauschalität erweist sich diese Aussage jedoch als unzutreffend.
Vorgaben des Arbeitszeitrechts
Rufbereitschaft ist grundsätzlich keine Arbeitszeit im Sinne des ArbZG. Im Unterschied zum Bereitschaftsdienst muss sich der Arbeitnehmer bei der Rufbereitschaft nicht an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten. Er ist bei der Wahl seines Aufenthaltsortes grundsätzlich frei. Jedoch muss er für den Arbeitgeber jederzeit erreichbar sein, um auf Abruf die Arbeit alsbald aufnehmen zu können. Die räumliche Distanz zwischen dem Arbeitsort und dem jeweiligen Aufenthaltsort darf also nur so groß sein, dass der Arbeitnehmer die Arbeit rechtzeitig aufnehmen kann. Dies ist nur dann der Fall, wenn zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme eine Zeitspanne liegt, die den Einsatz nicht gefährdet und im Bedarfsfall die rechtzeitige Arbeitsaufnahme gewährleistet. Eine Zeitvorgabe von 45 Minuten hat das BAG für unschädlich gehalten. Sie schränke den Arbeitnehmer zwar ein, jedoch nicht derart stark, dass der Aufenthaltsort letztendlich bindend durch den Faktor Zeit festgelegt werde (BAG, Urteil vom 22. Januar 2004, 6 AZR 543/02). Anders ist dies bei einer Zeitvorgabe von 20 Minuten. Bei einer solch engen Zeitvorgabe sei der Arbeitnehmer faktisch gezwungen, sich in der Nähe des Arbeitsplatzes aufzuhalten. In diesem Fall werde der Aufenthaltsort des Arbeitnehmers durch den Faktor Zeit so eng eingeschränkt, dass in der Sache Arbeitsbereitschaft vorliege (BAG, Urteil vom 31. Januar 2002, 6 AZR 214/00). Muss der Arbeitnehmer innerhalb kürzester Zeit die Arbeit aufnehmen und ist er daher rein faktisch gezwungen, sich in der Nähe des Arbeitsortes aufzuhalten, ist das mit dem Wesen der Rufbereitschaft nicht zu vereinbaren.
Berücksichtigt man, dass der Arzt nach dem Beschluss des G-BA innerhalb von 30 Minuten am Patienten verfügbar sein muss, bleibt, da neben der Wegezeit auch Zeiten etwa für den Wechsel der Bekleidung, Desinfektion etc. einkalkuliert werden müssen, eine deutlich kürzere Reaktionszeit. Wie ausgeführt hat das BAG aber eine Zeit von 20 Minuten als zu kurz angesehen, um noch von Rufbereitschaft sprechen zu können. Ist der Arbeitgeber gleichwohl darauf angewiesen, dass der Arbeitnehmer innerhalb einer solch engen Frist die Arbeit aufnimmt, muss er andere Arbeitszeitregelungen einführen. Dabei kann auch die Planung mit Bereitschaftsdiensten kritisch sein, da der EuGH erst kürzlich entschieden (EuGH, Urteil vom 21. Februar 2018, Az. C-518/15) hat, dass der Bereitschaftsdienst Arbeitszeit sein kann, wenn ein Arbeitnehmer sich an einem vom Arbeitgeber bestimmen Ort aufhalten muss, um dem Ruf des Arbeitgebers zur Arbeitsaufnahme innerhalb kurzer Zeit (hier: acht Minuten) Folge zu leisten (siehe dazu unseren Blog-Beitrag).
Fazit
Anders als vom G-BA angenommen, kann daher nicht in jedem Fall mit Rufbereitschaft gearbeitet werden. Krankenhäuser müssen vielmehr sehr genau prüfen, ob die Pflicht, innerhalb von 30 Minuten am Patienten zu sein, mit dem Wesen der Rufbereitschaft vereinbar ist und dem Arzt noch genügend Freiraum zur selbstbestimmten Gestaltung seiner Freizeit lässt. Es mag Fälle geben, in denen Rufbereitschaft möglich ist. Häufig wird jedoch die Grenze zum Bereitschaftsdienst überschritten sein. Die richtige Einordnung ist von zentraler Bedeutung, nicht nur, weil der Arzt berechtigt wäre, die Rufbereitschaft zu verweigern bzw. ggf. die Arbeitszeit wie Bereitschaftsdienst zu vergüten wäre, sondern weil Verstöße gegen das Arbeitszeitrecht nach § 22 ArbZG als Ordnungswidrigkeiten mit Geldbußen von bis zu 15.000 Euro pro Fall und Arzt geahndet werden können. Im Falle beharrlicher Wiederholung drohen nach § 23 ArbZG sogar strafrechtliche Sanktionen.
Gern beraten wir Sie zur rechtssicheren Umsetzung der Vorgaben des G-BA Beschlusses.