WISSENSWERTES | 23.08.2024

Die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur

 

Am 18. August 2024 ist die Verordnung (EU) 2024/1991 über die Wiederherstellung der Natur in Kraft getreten. Sie ist unmittelbar geltendes Recht in allen Mitgliedstaaten. Zweck ist, die biologische Vielfalt in Europa langfristig zu erhalten und die Widerstandsfähigkeit der Natur gegenüber dem Klimawandel zu erhöhen.

 

Zielsetzung und Anwendungsbereich

 

Die Wiederherstellungsverordnung (WVO) – kurz auch Nature Restoration Law (NRL) – ist Bestandteil des EU Green Deal und dient der Umsetzung internationaler Abkommen, wie etwa dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) oder der UN-Konventionen zum Klimawandel (UNFCCC) und zur Wüstenbekämpfung (UNCCD). Wie das Umweltministerium (BMUV) betont), verpflichtet die WVO die Mitgliedstaaten inhaltlich zu nichts Neuem, sondern gibt einen konkreten Zeit­rahmen sowie ausdifferenzierte und messbare (Zwischen-)Ziele für bereits bestehende Verpflichtungen vor.

 

Die Mitgliedstaaten müssen Maßnahmen festlegen und ergreifen, um geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen und sich in einem guten Zustand befindliche vor einer Verschlechterung zu bewahren. Hintergrund ist nach Einschätzung des vom BMUV unterstützten Kompetenzzentrums Naturschutz und Energiewende (KNE) die Erkenntnis, dass die biologische Vielfalt in Europa einen stetigen Rückgang ver­zeichnet, was hauptsächlich durch landwirtschaftliche Nutzung, sonstige Land­nutzungsänderungen und die Urbanisierung bedingt wird. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, soll der Zustand von Ökosystemen verbessert werden. Dabei wird aber auch die Anpassung an den Klimawandel zum Ziel erklärt.

 

Bis 2030 sollen auf mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresfläche der EU, die der Wiederherstellung bedürfen, Wiederherstellungsmaßnahmen ergriffen werden. Bis 2050 sollen alle Ökosysteme, die der Wiederherstellung bedürfen, mit Maß­nahmen abgedeckt sein.

 

Wiederhergestellt werden sollen dabei nicht nur Land-, Küsten- und Süßwasserökosysteme (Art. 4), sondern auch Meeresökosysteme (Art. 5), städtische Ökosysteme (Art. 8) sowie Flüsse und Auen (Art. 9). Außerdem soll der Rückgang der Bestäuberpopulationen in einen steigenden Trend umgekehrt werden (Art. 10). Auch die biologische Vielfalt von landwirtschaftlichen Ökosystemen (Art. 11) und Waldökosystemen soll durch Wiederherstellungsmaßnahmen verbessert werden (Art. 12). Daneben sollen bis 2030 auf EU-Ebene mindestens drei Milliarden zusätzliche Bäume gepflanzt werden (Art. 13).

 

Die Land-, Küsten- und Süßwasserökosysteme werden dazu ebenso wie die Meeresökosysteme in sog. Lebensraumtypen (z.B. Moore, Heiden, Muschelriffe) eingeteilt, die sich den Anhängen I und II der WVO entnehmen lassen. Die Wiederherstellungsmaßnahmen in Land-, Küsten und Süßwasserökosystemen sollen sich vorrangig an Natura 2000-Gebiete richten.

 

Der Überblick zeigt, dass der EU-Gesetzgeber ein umfassendes Paket geschnürt hat, das ambitionierte Zielfestlegungen beinhaltet. Wenn man sich die Umsetzungs­bemühungen etwa der Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG und der FFH-Richtlinie 92/43/EWG vergegenwärtigt (auch diese kennen eine Zielerreichung guter/günstiger Zustand), ist leicht absehbar, welche Kraftanstrengung dafür nötig sein wird.

 

Wiederherstellungsmaßnahmen

 

Die EU-Mitgliedstaaten werden verpflichtet, Wiederherstellungsmaßnahmen (siehe Anhang VII der Verordnung) zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Flächen der Lebensraumtypen, die sich in einem schlechten Zustand befinden, in einen guten Zustand zu versetzen. Dabei haben Flächen, die sich in Natura 2000-Gebieten befinden, Vorrang.

 

Daneben soll die Gesamtfläche der Lebensraumtypen vergrößert werden.

 

Zudem soll die Qualität und Quantität der in der in den Anhängen II, IV und V der FFH-Richtlinie aufgeführten Arten und der Land-, Küsten- und Süßwasserhabitate der unter die Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG fallenden wildlebenden Vogelarten verbessert werden.

 

Darüber hinaus sollen die EU-Mitgliedstaaten verhindern, dass sich der Zustand von Flächen, auf denen ein guter Zustand und eine ausreichende Qualität der Habitate der Arten bereits erreicht wurde, künftig erheblich verschlechtert.

 

Ausnahmen für erneuerbare Energien

 

Außerhalb von Natura 2000-Gebieten gilt diese Verpflichtung insbesondere nicht für Verschlechterungen, die auf Naturkatastrophen oder auf Projekte von über­wiegendem öffentlichen Interesse zurückzuführen sind, für die es keine Alternativlösungen gibt.

 

Dabei wird in Art. 6 klargestellt, dass Planung, Bau und Betrieb von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegen und von der Anforderung, dass keine weniger schädlichen Alternativlösungen zur Verfügung stehen, ausgenommen werden können, wenn sie einer strategischen Umweltprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen wurden. Damit wird dem Klimaschutz und dem dafür nötigen Ausbau erneuerbarer Energien als zweitem, das EU-Umweltrecht dominierenden, Belang Rechnung getragen (siehe etwa Richtlinie (EU) 2023/2413).

 

Nationale Wiederherstellungspläne

 

Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, eine vorbereitende Überwachung und Forschung durchzuführen, um die erforderlichen Wiederherstellungsmaßnahmen zu ermitteln und auf dieser Grundlage nationale Wiederherstellungspläne zu erstellen.

 

Dazu müssen sie die Fläche, die wiederherzustellen ist, quantifizieren und den Zustand der Lebensraumtypen sowie die Qualität und Quantität der darin vorhandenen Habitate erfassen.

 

Zu ermitteln und zu kartieren ist dabei für jeden Lebensraumtyp

 

• die Fläche des Lebensraums und seine derzeitige Verbreitung,
• die Fläche des Lebensraums, die sich in keinem guten Zustand befindet,
• die Möglichkeiten einer Erweiterung seiner Gesamtfläche sowie
• die am besten geeigneten Flächen für eine erneute Etablierung von Habitaten.

 

Außerdem müssen in diesen Plänen die finanziellen Mittel, mit denen und ein Zeitrahmen, in dem die Ziele der Verordnung erreicht werden sollen, festgelegt werden.

 

Innerhalb von 2 Jahren müssen die Mitgliedstaaten der Kommission einen Entwurf ihres nationalen Wiederherstellungsplans vorlegen, der den Zeitraum bis 2050 abdeckt. Diesen bewertet die Kommission und übermittelt den jeweiligen Mitgliedstaaten innerhalb von sechs Monaten nach Eingang des Entwurfs Anmerkungen hierzu. Die anhand der Anmerkungen angepassten Wiederherstellungspläne müssen die Mitgliedstaaten innerhalb von weiteren sechs Monaten nach Eingang der Anmerkungen veröffentlichen und der Kommission übermitteln (siehe hierzu Art. 16 und 17).

 

Ausnahme Verteidigung

 

Von der Durchführung der Wiederherstellungsmaßnahmen ausnehmen dürfen die EU-Mitgliedstaaten solche Flächen, die ausschließlich für Tätigkeiten der Verteidigung oder der nationalen Sicherheit dienen, wenn sie der Auffassung sind, dass diese Maßnahmen nicht mit der weiteren Nutzung der betreffenden Flächen für militärische Zwecke vereinbar sind. Allerdings sind sie verpflichtet, Maß­nahmen zur Abmilderung der Auswirkungen militärischer Tätigkeiten auf die Lebensraumtypen zu treffen.

 

Maßgaben für die kommunale Bauleitplanung

 

Bis zum 31. Dezember 2030 darf die nationale Gesamtfläche städtischer Grünflächen und städtischer Baumüberschirmung gegenüber dem status quo (2024) nicht schrumpfen (Art. 8 Abs. 1). Das bedeutet, dass bisher unbebaute innerstädtische Flächen nicht versiegelt werden dürfen – bzw. falls eine Versiegelung erfolgt, muss dafür an anderer Stelle in gleichem Umfang eine Entsiegelung erfolgen (siehe z.B.).

 

Ab dem 1. Januar 2031 muss die Gesamtfläche städtischer Grünflächen wachsen, unter anderem durch die Integration städtischer Grünflächen in Gebäude und Infrastrukturen. Dieser Trend wird ab 2031 alle sechs Jahre gemessen und so lange fortgesetzt, bis ein noch zu bestimmendes, innerhalb eines von der Kommission festgelegten Orientierungsrahmens liegendes, zufriedenstellendes Niveau erreicht ist (Art. 8 Abs. 2). Das bedeutet, dass ab 2031 möglichst keine unbebauten Flächen mehr versiegelt werden dürfen und versiegelte Flächen nach und nach entsiegelt werden müssen. Das zufriedenstellende Endziel müssen die Mitgliedstaaten in den nationalen Wiederherstellungsplänen nach Art. 14 Abs. 5 der Verordnung festlegen.

 

Diese Ziele müssen im Rahmen der kommunalen Bauleitplanung stets mitgedacht und bei der Realisierung von Bauvorhaben umgesetzt werden. Das wird im Neubaubereich eine restriktivere Handhabung des Maßes der baulichen Nutzung ebenso bedingen, wie Konzepte zum Wasserrückhalt, zur Schaffung von zusätzlichen Grünstrukturen u.a. Im Bestand wird man sich ernsthaft und konzeptionell sowie flächendeckend mit der Frage auseinandersetzen müssen, welche städtischen Flächen entsiegelt oder teilentsiegelt werden können. Die Nutzung von Gehwegen zur Pflanzung von Bäumen (siehe auch die Zielsetzung in Art. 13 der Verordnung – 3 Milliarden Baumpflanzungen) ist dabei nur eine von vielen möglichen Maßnahmen.

 

Auswirkungen auf Bauvorhaben im Außenbereich

 

Auch unabhängig von der Wiederherstellungsverordnung gibt es bereits jetzt eine Reihe nationaler und unionsrechtlicher Vorschriften, die den gesetzlichen Rahmen für die Realisierung von Bauvorhaben im Außenbereich vorgeben. Die meisten der in der Verordnung genannten (vorrangig) wiederherzustellenden Ökosysteme umfassen Flächen, die ohnehin besonders zu schützen sind (z.B. Natura 2000-Gebiete) und in denen Bau- und sonstige Vorhaben daher auch bis dato tendenziell schwer zu realisieren sind. Insoweit wird sich an der „Gebietskulisse“ vermutlich weniger ändern, als dies bisweilen befürchtet wurde.

 

Die Wiedervernässung von Mooren, die derzeit landwirtschaftlich genutzt werden, und die Pflichten zur Vergrößerung verschiedener Populationen in landwirtschaftlichen Ökosystemen (Art. 11) könnte zu Konflikten mit der landwirtschaftlichen Nutzung und Bebauung dieser Flächen führen (siehe die Einschätzung des Bayerischen Bauernverbands). Diese Vorgaben für die landwirtschaftliche Nutzung dürften dort zu einem erhöhten Flächendruck führen, der vermutlich reflexartig auf andere Vorhaben, die ihrerseits landwirtschaftliche Nutzfläche beanspruchen, weitergegeben wird. Darüber hinaus ist eine wesentliche Zunahme solcher Konflikte jedoch nicht zu erwarten, zumal die Verordnung versucht, das Konfliktpotenzial mit dem Vorrang des Ausbaus von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien durch Ausnahmen von den Wieder­herstellungspflichten zu begrenzen.

 

Evaluierung

 

Bis zum 30. Juni 2032 und danach alle 10 Jahre müssen die Mitgliedstaaten ihre nationalen Wiederherstellungspläne überprüfen, überarbeiten und zusätzliche Maßnahmen aufnehmen. Dabei sind die Fortschritte bei der Durchführung des Plans, die besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie die verfügbaren Kenntnisse über Änderungen oder erwartete Veränderungen der Umweltbedingungen aufgrund des Klimawandels sowie die gewonnenen Erkenntnisse über den Zustand der Lebensraumtypen zu berücksichtigen (Art. 19 der Verordnung).

 

Überwachung und Berichterstattung

 

Die Mitgliedstaaten haben fortlaufend u. a. den Zustand der Lebensraumtypen und die Größe und Vielfalt bestimmter Populationen zu überwachen (siehe Art. 20), die daraus erzeugten Daten zu veröffentlichen und der Kommission über die Ergebnisse der Überwachung Bericht zu erstatten. Daneben müssen sie der Kommission u. a. Informationen über die Flächen, die Wiederherstellungs­maßnahmen unterliegen, über den Umfang der Flächen, auf denen sich Lebensraumtypen und Habitate erheblich verschlechtert haben und die Fortschritte bei der Umsetzung der Wiederherstellungsmaßnahmen übermitteln (Art. 21 der Verordnung).

 

Finanzierung

 

Um die Verpflichtungen dieser Verordnung umzusetzen, müssen private und öffentliche Investitionen in die Wiederherstellung der Natur getätigt werden. Die Mitgliedstaaten sollen Ausgaben zur Verwirklichung der Biodiversitätsziele, auch in Bezug auf Opportunitäts- und Übergangskosten, die sich aus der Durchführung der nationalen Wiederherstellungspläne ergeben, in ihre nationalen Haushalte aufnehmen und darlegen, wie die Unionsmittel verwendet werden. Seitens der EU tragen die Ausgaben im Rahmen des Unionshaushalts und zahlreicher bereits eingerichteter Finanzierungsprogramme der Union zu den Biodiversitätszielen bei (Erwägungsgrund 78).

 

Zur privaten Finanzierung steht etwa das Programm „InvestEU“ zur Verfügung, das unter anderem die Förderung von Natur und biologischer Vielfalt durch grüne und blaue Infrastrukturprojekte und durch klimaeffiziente Landwirtschaft stärkt. Darüber hinaus können private Investitionen durch öffentliche Investitionsprogramme – etwa in Form von Subventionen gefördert werden (Erwägungsgrund 80).
Zusätzlich ermittelt die Kommission ein Jahr nach dem Inkrafttreten der Verordnung mögliche Finanzierungslücken und prüft, ob die Einrichtung eines zweckgebundenen Finanzierungsinstruments erforderlich ist (siehe Erwägungsgrund 81 zur WVO und Überblick des BMUV. Durch Art. 21 Abs. 7 der Verordnung wird eine echte Finanzierungspflicht der EU festgelegt.

 

Fazit

 

Der EU-Gesetzgeber drückt in der Umweltpolitik dieses Jahr „das Pedal durch“. Eine Flut von Regelungen und Zielvorgaben wurde erlassen. Die meisten beschäftigten sich bisher mit dem beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien und der Umsetzung des strukturellen Wandels der Energieversorgung. Die WVO kommt demgegenüber klassisch aus der Ecke des medialen Umweltschutzes und operiert mit Zielfestlegungen zur Zustandsverbesserung vor allem in den Natura 2000 Schutzgebietskategorien. Inwieweit dies mit der Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien zusammenpasst, bleibt doch zum Teil fraglich. So sieht die Richtlinie 2023/2413 (RED III) generell ein überragendes öffentliches Interesse der erneuerbaren Energien auch im Kontext des FFH-Gebietsschutzes vor. Die WVO erkennt dieses aber nur außerhalb dieser Gebiete an. Ein beispielhafter Widerspruch zwischen zwei Regelwerken mit unterschiedlichen Ansätzen, der zeigt, dass auch die EU-Gesetzgebung keine „eierlegenden Wollmilchsäue“ produziert, sondern die unterschiedlichen Schutzanliegen immer wieder zu Konflikten führen werden.


Current articles of Prof. Dr. Götz Brückner

NEWS | 23.08.2024

Die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur

Am 18. August 2024 ist die Verordnung (EU) 2024/1991 über die Wiederherstellung der Natur in Kraft getreten. Sie ist unmittelbar geltendes Recht in allen Mitgliedstaaten. Zweck ist, die biologische Vielfalt in Europa langfristig zu erhalten und die Widerstandsfähigkeit der Natur gegenüber dem Klimawandel zu erhöhen. &...

NEWS | 19.07.2024

Novelliertes Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImschG) – Verbesserung von Klimaschutz und Beschleunigung

Am 9. Juli 2024 ist das Gesetz zur Verbesserung des Klimaschutzes beim Immissionsschutz zur Beschleunigung immissionsschutzrechtlicher Ge­neh­mi­gungs­ver­fahren und zur Umsetzung von EU-Recht in Kraft getreten. Das Artikelgesetz beinhaltet neben einer Reihe ...