WISSENSWERTES | 31.03.2020

Das Corona-Virus als Leistungshindernis im Baurecht – berechtigte und unberechtigte Behinderungsanzeigen von Architekten, Ingenieuren und Handwerkern

 

Das Corona-Virus und die damit einhergehenden Maßnahmen führen zunehmend zu weitreichenden Konsequenzen für die Wirtschaft. Davon bleibt auch die Baubranche nicht verschont, die längst wie viele andere von der Arbeitnehmerfreizügigkeit und dem globalen Handel profitiert und die Beschränkungen nun umso stärker zu spüren bekommt.

 

Das wirft notwendigerweise Fragen danach auf, wer für die durch Materialengpässe, Arbeitsausfälle und Ähnliches zunehmend gestörten Bauabläufe im Rahmen bestehender Verträge haftet und wie auf die neue Situation im Rahmen von Nachtragsvereinbarungen und Neuverträgen reagiert werden kann und sollte.

 

Grundsätze der Risikoverteilung

 

Regelungen in laufenden Verträgen, die Auswirkungen der Pandemie auf die Bauzeit betreffen, dürften in aller Regel fehlen. Daher gilt hier der werkvertragsrechtliche Grundsatz, dass der Auftragnehmer das Beschaffungs- und Herstellungsrisiko trägt. Er schuldet die Erreichung eines vertraglich vereinbarten Erfolges und ist verpflichtet, dafür alles Erforderliche und Zumutbare zu unternehmen. Das Beschaffungsrisiko findet erst dort seine Grenze, wo die Zumutbarkeitsschwelle überschritten ist und der Unternehmer die Leistung nach § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB verweigern kann, weil ein Aufwand erforderlich ist, „der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht“.

 

Berechtigte Behinderungs- und Unterbrechungsanzeigen nach § 6 VOB/B

 

Für das Bauvertragsrecht regelt darüber hinaus § 6 VOB/B, unter welchen Voraussetzungen Behinderungen des Bauablaufs anzunehmen sind, aufgrund derer der Auftragnehmer die Verlängerung von Ausführungsfristen verlangen kann, ohne sich Schadenersatzansprüchen des Auftraggebers ausgesetzt zu sehen. Er hat dann dem Auftraggeber die Behinderung unverzüglich schriftlich anzuzeigen. In diesen Fällen berechtigter Behinderungsanzeigen trägt der Auftraggeber das Verzögerungsrisiko.

 

Liegen Behinderungsgründe nach § 6 Abs. 2 VOB/B wie etwa höhere Gewalt vor, verlängert sich zunächst nur die Ausführungsfrist, so dass sich der Auftraggeber für den fraglichen Zeitraum nicht auf Verzug berufen und zum Beispiel im Falle der Überschreitung von Fertigstellungsterminen auch keine Vertragsstrafe geltend machen kann. Der Zeitraum der Behinderung ist dabei vom Auftragnehmer nachzuweisen.

 

Als weitere Folge kommt bei „voraussichtlich längerer Unterbrechung der Ausführung“ ein Kostenersatz gemäß § 6 Abs. 5 VOB/B in Betracht. Danach erhält der Auftragnehmer für die ausgeführte Leistung den Vertragspreis und für den (noch) nicht ausgeführten Teil zumindest die bereits entstandenen Kosten ersetzt. Den entgangenen Gewinn bekommt er allerdings nicht, weil auch der Auftraggeber die Unterbrechung nicht zu vertreten hat. Hinzu kommt die Möglichkeit einer Vertragsbeendigung für beide Vertragspartner gemäß § 6 Abs. 7 VOB/B, wenn die Unterbrechung mehr als drei Monate dauert.

 

Auswirkungen der Pandemie auf Behinderungsanzeigen von Auftragnehmern

 

Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen können höhere Gewalt i. S. d. § 6 Abs. 2 Nr. 1 c VOB/B darstellen, wenn es sich dabei um unvorhersehbare, unvermeidbare und betriebsfremde, d. h. von außen herbeigeführte Ereignisse handelt. Diese Voraussetzungen müssen im Einzelfall positiv festgestellt werden. Kann etwa nur ein gewohnter Lieferweg nicht genommen werden und ist ggf. auch über einen Produktwechsel eine zumutbare Alternativlösung möglich, kann der  Auftragnehmer sich nicht auf höhere Gewalt berufen. Die Ablehnung von Lieferalternativen kann nicht allein auf Preisdifferenzen gestützt werden, weil sich darin das Beschaffungsrisiko verwirklicht. Auch hier besteht jedoch die Grenze der Zumutbarkeit. Gerade im Hinblick auf Personalengpässe, die durch öffentliche Anordnungen und Grenzschließungen bedingt sind, dürften die Voraussetzungen höherer Gewalt mit den Rechtsfolgen des § 6 VOB/B anzunehmen sein.

 

Liegt höhere Gewalt vor, ist der Auftragnehmer gehalten, diese dem Auftraggeber unverzüglich anzuzeigen und nachzuweisen, dass die Verzögerung der Ausführung auf die Pandemie zurückzuführen ist und für welchen Zeitraum die Behinderung besteht. Erst wenn der Auftragnehmer nachweisen kann, dass er alles Erforderliche getan hat, um die Bauverzögerung abzuwenden und der gestörte Bauablauf allein auf Umstände zurückzuführen ist, auf die er keinen Einfluss hat, entgeht er Gegenansprüchen des Auftraggebers. Der Nachweis kann beispielsweise durch dokumentierte frühzeitige Abfragen bei Lieferanten und die Einholung von Alternativangeboten für Personal und Material erbracht werden.

 

Sogenannte „Corona-Klauseln“

 

Bei nach Auftreten der Pandemie neu abgeschlossenen Verträgen oder Vertragserweiterungen durch Nachträge kann sich der Vertragspartner nicht mehr ohne weiteres auf höhere Gewalt berufen, weil er die aktuellen und zu erwartenden Umstände bei Vertragsschluss kannte. Es könnte dann ein Fall anfänglicher Unmöglichkeit vorliegen. Dann bestünde nach § 311a BGB trotz wirksamen Vertrages keine primäre Leistungspflicht und der Gläubiger könnte Schadensersatz verlangen.

 

In zukünftigen Verträgen und Nachträgen sollten daher, um Rechtsunsicherheit zu vermeiden, etwaige pandemiebedingte Folgen für das Vertragsverhältnis bedacht und jedenfalls im Ansatz geregelt werden.

 

Zu beachten ist allerdings, dass bestimmte Grundsätze wie die in jedem Fall erforderliche Nachweisführung seitens des Auftragnehmers hinsichtlich des Vorliegens und der Dauer einer Behinderung auch durch sog. Corona-Klauseln nicht wirksam aufgeweicht werden kann.


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