WISSENSWERTES | 20.04.2022

Corona und Arbeitsrecht – Neue Rechtsprechung

Die mit der Corona-Krise verbundene Vielzahl neuer Vorschriften wirkt sich auch auf das Arbeitsrecht aus. Nun sind weitere – wenn auch noch nicht rechtskräftige – Entscheidungen ergangen, über die wir vorliegend berichten wollen.

 

Einrichtungsbezogene Impfpflicht – Zulässigkeit der Freistellung

 

Bereits im Januar hatten wir an dieser Stelle über die einrichtungsbezogene Impfpflicht nach dem Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie vom 10. Dezember 2021 berichtet.

Gemäß § 20a IfSG gilt seit dem 16. März 2022 für alle Personen, die in einem Krankenhaus, einer Arztpraxis oder einer Pflegeeinrichtung beschäftigt sind, die Pflicht zur Vorlage einer erfolgten Impfung gegen das Coronavirus, eines Genesenennachweis oder einer ärztliche Bescheinigung über eine Kontraindikation.

 

Meldung an das Gesundheitsamt

 

Arbeitnehmer, die vor dem 16. März 2022 eingestellt worden sind und den Nachweis nicht erbringen, mussten von dem Arbeitgeber an das Gesundheitsamt gemeldet werden. Dieses kann nach einer Anhörung des Arbeitnehmers ein Beschäftigungsverbot aussprechen.

 

Kein Anspruch auf Weiterbeschäftigung im Eilverfahren bei Freistellung

 

Nunmehr hat das ArbG Gießen mit Urteil vom 12. April 2022, Az. 5 Ga 1/22 und 5 Ga 2/22, in einem Eilverfahren die Klagen zweier ungeimpfter Mitarbeiter auf Weiterbeschäftigung abgewiesen. Diese hatten keinen Nachweis vorgelegt und wurden aufgrund dessen von ihrem Arbeitgeber ab dem 16. März 2022 unbezahlt freigestellt.

Zwar sehe § 20 a Abs. Abs.3 Satz 4 IfSG unmittelbar ein Beschäftigungsverbot im Falle der Nichtvorlage eines Impf- oder Genesenennachweises nur für ab dem 16. März 2022 neu eingestellte Personen, nicht aber für bislang schon beschäftigte Personen vor. Dennoch stehe es der Arbeitgeberin unter Zugrundelegung der gesetzlichen Wertungen des § 20 a IfSG im Rahmen billigen Ermessens frei, im Hinblick auf das besondere Schutzbedürfnis der Bewohnerinnen und Bewohner eines Seniorenheims Beschäftigte, die weder geimpft noch genesen sind und der Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises nicht nachkommen, von der Arbeitsleistung freizustellen. Gegenüber dem Interesse der Beschäftigten an der Ausübung ihrer Tätigkeit überwiege insofern das Interesse der Bewohnerinnen und Bewohner an deren Gesundheitsschutz.

Die Frage, ob für die Zeit der Freistellung die Vergütung fortzuzahlen ist, hatte das Gericht im Eilverfahren nicht zu entscheiden.

 

Corona- Sonderzahlung und Altersteilzeit

 

Des Weiteren hat sich das LAG Hamm mit der Frage beschäftigt, ob ein Arbeitnehmer in Altersteilzeit in der Freistellungsphase einen Anspruch auf Zahlung einer Corona-Sonderzahlung in Höhe von EUR 600,00 hat (LAG Hamm, Urteil vom 26. Januar 2022, Az. 9 Sa 889/21).

Der Kläger befindet sich in Altersteilzeit, seit dem 16. April 2020 in der Freistellungsphase. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge des Nahverkehrs (TV-N NW) Anwendung.

 

Rechtsgrundlage für Vergütung in Freizeitphase

 

In dem Altersteilzeitarbeitsvertrag wird für die Höhe des Arbeitsentgelts auf § 7 II TV FlexAZ verwiesen. Danach erhalten Beschäftigte während der Arbeitsphase des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses im Blockmodell das Tabellenentgelt und alle sonstigen Entgeltbestandteile in Höhe der Hälfte des Entgelts, das sie erhalten würden, wenn sie mit der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit weitergearbeitet hätten. Die andere Hälfte des Entgelts fließt in das Wertguthaben (§ 7 b SGB IV) und wird in der Freistellungsphase ratierlich ausgezahlt. Das Wertguthaben erhöht sich bei allgemeinen Tariferhöhungen in der von den Tarifvertragsparteien jeweils festzulegenden Höhe.

Nach dem TV Corona-Sonderzahlung Nahverkehr NW 2020 erhalten nun Personen, die unter den Geltungsbereich des TV-N fallen, eine einmalige Corona-Sonderzahlung in Höhe von EUR 600,00 spätestens mit dem Tabellenentgelt des Monats Dezember 2020 ausgezahlt, wenn ihr Arbeitsverhältnis am 1.10.2020 bestand und an mindestens einem Tag zwischen dem 1.3.2020 und dem 31.10.2020 Anspruch auf Entgelt bestanden hat. Teilzeitbeschäftigte erhalten die Sonderzahlung anteilig.

Der Kläger erhielt die Sonderzahlung nicht und erhob daher Klage. Diese blieb auch in der zweiten Instanz erfolglos.

Das LAG Hamm urteilte, die Frage, ob und inwieweit ein Arbeitnehmer während der Freistellungsphase des Altersteilzeitverhältnisses noch neue tarifliche Entgeltansprüche erwerben könne, sei durch Auslegung des TV Corona- Sonderzahlung und vorrangig an der Regelung des § 7 Abs. 2 TV FlexAZ zu beurteilen. Dem Anspruch des Klägers stehe entgegen, dass er sich im Dezember 2020, dem Zeitpunkt der Auszahlung der Sonderzahlung, in der Freistellungsphase befunden habe.

 

Eigenes tarifliches Entgeltregime für Arbeitnehmer in der Altersteilzeit

 

Denn § 7 Abs. 2 TV FlexAZ beinhalte ein eigenes Entgeltregime, im Rahmen dessen für die Dauer der Freistellungsphase grundsätzlich keine neuen Vergütungsansprüche mehr entstünden. Nach der Vorschrift fließe in das Wertguthaben die Hälfte der Entgeltbestandteile ein, die dem Arbeitnehmer während der Arbeitsphase zustehen. Dazu gehören auch Einmalzahlungen wie die Corona-Sonderzahlung. Bei Arbeitnehmern in der Aktivphase der Altersteilzeit werde dann nach § 7 II TV FlexAZ die Hälfte ausgezahlt und die andere Hälfte fließe dem Wertguthaben zu. Wer sich aber, wie der Kläger, schon in der Freistellungsphase befinde, könne keinen originär wirksamen Anspruch mehr geltend machen, denn in der Freistellungsphase werde lediglich ein bereits angespartes Wertguthaben ausgezahlt.

 

Kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz

 

Auch einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verneinte das Gericht. Es sah einen sachlichen Grund in einer möglichen Ungleichbehandlung zu anderen Arbeitnehmern in Altersteilzeit in der Arbeitsphase oder im Teilzeitmodell darin, dass das Arbeitsverhältnis eines Altersteilzeit-Arbeitnehmers in der Freistellungsphase im Gegensatz zu solchen in der Arbeitsphase faktisch beendet sei.

Allerdings ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. Die vom LAG Hamm dagegen zugelassene Revision ist noch beim BAG unter dem Aktenzeichen 9 AZR 207/22 anhängig.

 

Praxistipp

 

Die Entscheidung des ArbG Gießen zeigt erstmals die Auswirkungen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht auf die Beschäftigten, die keinen Nachweis vorlegen. Es bleibt abzuwarten, ob die Kläger in Berufung gehen und wie die Hauptsacheverfahren ausgehen.

Die Entscheidung des LAG Hamm folgt der Linie des BAG, das schon mehrfach entschieden hat, dass ein Altersteilzeitarbeitnehmer im Blockmodell während der Freistellungsphase Anspruch auf die durch die Vorarbeit in der Arbeitsphase erworbenen Entgeltansprüche hat (vgl. BAG v. 22.5.2012 – 9 AZR 423/10, BeckRS 2012, 70998; BAG v. 11.4.2006 – 9 AZR 369/05, BeckRS 2006, 42342). Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Bei weiteren Fragen sprechen Sie uns gerne an.


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