WISSENSWERTES | 01.11.2017

Aktuelles Gutachten: „OD-Pauschalen“ der Ortsdurchfahrtenrichtlinie des Bundes (ODR) bei Mitbenutzung kommunaler Abwasseranlagen zur Entwässerung überörtlicher Straßen decken nur ca. ¼ der angemessenen Kosten

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Die Straßenbaulastträger sind zuständig für die Entwässerung ihrer Straßen. Sie haben daher grundsätzlich auch selbst für eine Entwässerung zu sorgen und diese finanziell zu verantworten. Gerade innerorts ist jedoch vielfach eine Abwasseranlage der Kommune vorhanden, die Schmutz- und Niederschlagswasser der Anliegergrundstücke aufnimmt. Gesamtwirtschaftlich ist daher die Errichtung einer weiteren Anlage für das Straßenoberflächenwasser nicht sinnvoll und die Straßenbaulastträger benutzen die kommunale Anlage mit. Für diesen Fall der Mitbenutzung kommunaler Abwasseranlagen enthalten einige Landesstraßengesetze ausdrückliche Regelungen (vgl. z.B. § 23 Abs. 5 StrG in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen).Danach hat sich der Straßenbaulastträger in Höhe der Kosten zu beteiligen, die ihm selbst hierbei entstanden wären (sog. Fiktivkosten). Von dieser Kostenhöhe geht auch die für die Bundesstraßen in der Ortsdurchfahrtenrichtlinie (ODR) in Ziff. III. Nr. 14 Abs. 2 Satz 1 aus. Tatsächlich werden jedoch fast flächendeckend nur die Pauschalsätze der ODR verwendet und vereinbart.

Sind die Fiktivkosten – wie häufig – deutlich höher als die Pauschalen, stellt sich für die Kommunen die Frage einer möglichen Nachforderung. Tatsächlich sind schon die (Mehr-)Kosten der Kommunen oftmals deutlich höher als das, was vertraglich vereinbart wurde. Das Defizit können die Kommunen meist nicht ausgleichen, etwa weil eine Erhebung von Gebühren für die Straßenflächen nach Landesrecht ausgeschlossen ist (so z.B. in Sachsen und Baden-Württemberg) oder die OD-Vereinbarung dem entgegensteht.

In einem Rechtsstreit in Sachsen ging es nun um die Frage, ob bei einer besonders geringen Kostenbeteiligung nach OD-Pauschale dennoch die Fiktivkosten gefordert werden können, wenn die Vereinbarung wegen Sittenwidrigkeit keine wirksame Abgeltung enthält und der Anspruch nicht verjährt ist. Sittenwidrigkeit kommt in Betracht, wenn der Wert der Mitbenutzung für den Straßenbaulastträger z.B. über dem Doppelten der tatsächlich gezahlten Pauschale liegt. Dann ist die vereinbarte Gegenleistung (OD-Zahlbetrag) grob unangemessen und der Vertrag nichtig.

Mit einem solchen Fall hat sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen kürzlich beschäftigt – wir hatten bereits ausführlich über das inzwischen rechtskräftige Urteil vom 20. April 2017, Az. 3 A 402/15 berichtet.

Erstes wissenschaftliches Gutachten zur Höhe der OD-Pauschalen

Für ein anderes gerichtliches Verfahren liegt nun ein wissenschaftliches Gutachten (in zwei Teilen) des renommierten, an der HTWK Leipzig angesiedelten Instituts für Wasserbau und Siedlungswasserwirtschaft (IWS), Prof. Dr.-Ing. Hubertus Milke, vom 21. August 2017 vor, in dem die zuerst im Jahr 1996 vom Bundesverkehrsministerium festgelegten OD-Pauschalsätze überprüft und die zutreffenden Beträge zum Zeitpunkt 1995 sowie auch für 2017 ermittelt worden sind.

Das Ergebnis ist ernüchternd:

Stand 1995:

Kosten für den Bau der Entwässerung einer fiktiven Straße, 1 km:           1.324.000 DM

entspricht pro lfd. m Straße:                                                                                1.324 DM

Die OD-Pauschale wurde 1996 auf 250 DM (einschließlich Zusatzpauschale und anteilige Straßeneinläufe: 320 DM) festgesetzt. Ausgehend vom höheren Wert lagen bereits 1995 die angemessenen Kosten demnach 414% höher.

Stand 2017:

Kosten für den Bau der Entwässerung einer fiktiven Straße, 1 km:            780.000 EUR

entspricht pro lfd. m Straße:                                                                                780 EUR

Die OD-Pauschale beträgt aktuell 146 EUR (einschließlich Zusatzpauschale und anteilige Straßeneinläufe: 185,25 EUR). Wiederum vom höheren Wert ausgehend, liegen aktuell die angemessenen Kosten sogar 421% höher.

Sittenwidrigkeit der OD-Pauschalen?

Danach wäre ohne weiteres von einer Sittenwidrigkeit der üblicherweise vereinbarten OD-Pauschalen auszugehen – und zwar sowohl in der Vergangenheit als auch heute.

Das entsprechende Gutachten wird voraussichtlich Gegenstand des weiteren gerichtlichen Verfahrens vor dem OVG Bautzen werden, nachdem das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hier die Beschwerde des Straßenbaulastträgers gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das Grundurteil des OVG Bautzen vom 26. Januar 2017, Az. 2 A 616/15 über das wir schon im Januar und Februar diesen Jahres ausführlich berichtet hatten (1. ; 2.) – zurückgewiesen hat. Das Grundurteil des OVG Bautzen ist damit rechtskräftig. Im Weiteren Verfahren wird hier nun noch über die Höhe der Kostenbeteiligung zu verhandeln sein.

Tipp

Das neue Gutachten belegt, dass die Behauptung der Straßenbaulastträger nicht haltbar ist, wonach Fiktivkosten in den OD-Pauschalen zutreffend abgebildet würden. Pauschalangebote der Straßenbaulastträger sollten vor diesem Hintergrund noch kritischer geprüft werden als bislang. Für bereits abgeschlossene Vereinbarungen sollten die Kommunen prüfen, in welchem Umfang eine Kostenbeteiligung tatsächlich angemessen gewesen wäre. Ist der Unterschied gravierend, kann eine Anpassung der Vereinbarung oder, falls das verweigert wird, ggf. mit dem Einwand der Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit eine Fiktivkostenbeteiligung verlangt werden.


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