WISSENSWERTES | 20.01.2025

Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers – Was Arbeitgeber tun können: Neues Urteil des BAG

 

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Arbeitnehmern haben einen hohen Beweiswert. Nicht selten haben Arbeitgeber trotzdem Zweifel an der tatsächlichen Erkrankung eines Arbeitnehmers und fragen sich, wann sie das Recht haben, die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu verweigern.

 

Will der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern, muss er den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Hierzu muss er Indizien vortragen, die erhebliche Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit darlegen. Hält das Gericht die Zweifel für berechtigt, muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass er tatsächlich krank war.

 

Gleichlauf von Kündigungsfrist und Krankschreibung

 

Seit einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 8. September 2021, Az. 5 AZR 149/21 ziehen Arbeitgeber die Ernsthaftigkeit von Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen immer öfter in Zweifel.

 

Im damaligen Fall hatte die Klägerin das Arbeitsverhältnis selbst in der Probezeit mit einer Frist von 14 Tagen gekündigt und sich am gleichen Tag für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist krankschreiben lassen. Der Arbeitgeber zweifelte die Krankheit an und verweigerte die Entgeltfortzahlung. Auf die Zahlungsklage der Arbeitnehmerin hin sah das BAG den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeits­bescheinigung deshalb als erschüttert an, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung abdecke. Die Klägerin hätte danach ihre bestehende Arbeitsunfähigkeit darlegen und beweisen müssen, was sie jedoch nicht tat.

 

Die Gesamtumstände zählen

 

Nun hat das BAG mit aktuellem Urteil vom 15. Januar 2025, Az. 5 AZR 284/24, in einem weiteren Fall zu der Frage Stellung genommen, wann ein Arbeitgeber ernsthafte Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung haben darf.

 

Der Kläger war seit 2002 bei der Beklagten als Lagerarbeiter beschäftigt. Im Sommer 2022 verbrachte er seinen Urlaub in Tunesien. Kurz vor dem Ende seines Urlaubs teilte er der Arbeitgeberin per E-Mail mit, er sei von einem tunesischen Arzt krankgeschrieben worden und könne daher erst verspätet zurückreisen. Einen Tag später buchte er die Rückreise nach Deutschland zu dem Termin, zu dem die Krank­schreibung endete. Nach seiner Ankunft in Deutschland legte er eine weitere Arbeits­unfähigkeitsbescheinigung eines deutschen Arztes vor.

 

Die Arbeitgeberin verweigerte die Entgeltfortzahlung, da sie Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hegte. Der Kläger erhob Zahlungsklage. Das LAG gab der Klage statt. Das BAG hob das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an das LAG zurück

 

Es bestätigte zwar, dass ausländische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen grundsätzlich den gleichen hohen Beweiswert hätten wie deutsche, sofern sie erkennen ließen, dass der ausländische Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterscheiden könne. Das LAG habe jedoch die von dem Arbeitgeber vorgetragenen Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht ausreichend berücksichtigt. Hierzu sei eine Gesamtschau notwendig.

 

* Der tunesische Arzt habe dem Arbeitnehmer 24 Tage Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, ohne eine Wiedervorstellung anzuordnen.

 

* Der Kläger habe bereits einen Tag nach der attestierten Notwendigkeit häuslicher Ruhe und des Verbots, sich zu bewegen und zu reisen, ein Fährticket für die Rückreise nach Deutschland gebucht; Abreisetermin sei ein Tag vor Ende der attestierten Arbeitsunfähigkeit gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei er dann auch tatsächlich zurückgereist.

 

* Er habe in den Jahren 2017 bis 2020 bereits dreimal unmittelbar nach seinem Urlaub AU-Bescheinigungen vorgelegt.

 

Das alles habe das LAG nur isoliert betrachtet und daher für unverfänglich erachtet. Es sei aber eine Gesamtschau vorzunehmen – und die begründe hier ernsthafte Zweifel am Beweiswert der AU-Bescheinigung.

 

Das LAG wird dem Kläger nun Gelegenheit geben müssen, darzulegen und zu beweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war.

 

Praxistipp

 

Es gibt viele Situationen, in denen Arbeitnehmer sich veranlasst sehen könnten, sich unter Vortäuschung einer Krankheit arbeitsunfähig zu melden. Arbeitgeber müssen, wenn sie die Arbeitsunfähigkeit in Zweifel ziehen und die Entgeltfortzahlung verweigern wollen, die Indizien für Zweifel daran sammeln und gut dokumentieren.

 

Nach den seit 2021 ergangenen Entscheidungen können im Übrigen auch Verstöße der Ärzte gegen die sog. Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern.


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