WISSENSWERTES | 21.11.2019

Wegweisendes EuGH-Urteil zur Nitratbelastung des Grundwassers

 

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) weitet die Klagemöglichkeiten bei überhöhten Nitratwerten im Grundwasser deutlich aus. Das ergibt sich – bisher wenig beachtet – aus dessen Urteil vom 3. Oktober 2019, C-197/18.

Geklagt hatten ein Wasserversorger und ein privater Grundstückseigentümer sowie eine Gemeinde in Österreich; die Gemeinde und der Grundstückseigentümer betreiben jeweils einen Brunnen. Die jeweilige Wasserentnahmestelle war durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verunreinigt und der Grenzwert von 50 mg Nitrat pro Liter Grundwasser (zeitweise oder dauerhaft) überschritten.

 

Grenzwertüberschreitung eröffnet Klagebefugnis

 

Ähnlich wie schon bei der Stickoxid-Belastung der Luft in Städten haben Betroffene künftig umfassende Klagemöglichkeiten, wenn die Grenzwerte für Nitrat im Grundwasser überschritten werden – dabei genügt schon die Gefahr einer Überschreitung. Privatpersonen, juristische Personen und Umweltverbände können von den zuständigen nationalen Behörden verlangen, dass sie Aktionsprogramme wirkungsvoll ausgestalten oder zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um die Nitratwerte nachhaltig zu reduzieren. Hierfür brauchen die Kläger nicht nachweisen, dass die bereits erfolgten Maßnahmen nicht ausreichend oder gar wirkungslos sind.

 

Dringender Handlungsbedarf

 

Das Urteil dürfte den Druck auf die Verursacher der Nitratverunreinigung des Grundwassers wesentlich erhöhen. Die industrielle (konventionelle) Landwirtschaft und die Bundesregierung müssen nun dringend die europarechtlich erforderlichen Maßnahmen zur Beschränkung der Düngearten und -mengen ergreifen und verbindlich festschreiben.

 

Begründung des EuGH

 

Das Verwaltungsgericht Wien hatte dem EuGH die Sache im Rahmen einer Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorgelegt. Die Kläger verlangten von dem zuständigen Ministerium die Änderung der Verordnung „Aktionsprogramm Nitrat 2012“ und weitergehende Schutzmaßnahmen. Das österreichische Recht verlangt – wie auch das deutsche – für eine zulässige Klage die Verletzung subjektiver materieller Rechte, die hier mangels nationaler Vorschriften zunächst nicht ersichtlich waren. Das Verwaltungsgericht Wien fragte daher den EuGH an, ob sich die Kläger direkt auf das Unionsrecht und insbesondere auf die EU-Richtlinie 91/676 („Nitratrichtlinie“) berufen können.

 

Der EuGH stellte klar, dass das in Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus vorgesehene Recht auf einen Rechtsbehelf keine praktische Wirksamkeit hätte, ja ausgehöhlt würde, wenn zugelassen würde, dass durch im innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien bestimmten Kategorien der „Mitglieder der Öffentlichkeit“, erst Recht der „betroffenen Öffentlichkeit“ wie insbesondere Umweltorganisationen, die die Voraussetzungen von Art. 2 Abs. 5 des Übereinkommens von Aarhus erfüllen, der Zugang zu den Gerichten gänzlich verwehrt würde.

 

Um festzustellen, ob natürliche und juristische Personen wie die Kläger des Ausgangsverfahrens von einer Verletzung der Verpflichtungen aus der Nitratrichtlinie unmittelbar betroffen sind, sind die Zielsetzung sowie die einschlägigen Bestimmungen dieser Richtlinie zu prüfen. Hier ergäbe sich aus der Zielsetzung der betroffenen Nitratrichtlinie, dass eine über ein Grundwasserentnahme- und ‑nutzungsrecht verfügende natürliche oder juristische Person von der Überschreitung (oder der Gefahr einer Überschreitung) des Schwellenwerts unmittelbar betroffen ist, wenn die Überschreitung geeignet ist, das Recht dieser Person und damit die rechtmäßige Nutzung des Grundwassers einzuschränken.

 

Somit waren alle Betroffenen klagebefugt: Da der Nitratgehalt des betroffenen Grundwassers 50 mg/l überschreitet oder zu überschreiten droht, wird die Nutzung dieses Wassers behindert; zumindest werden die Betroffenen zu Ausgaben für die Beseitigung der Wasserverunreinigung gezwungen.

 

Fazit

 

Eine Klagebefugnis aus EU-Recht besteht immer dann, wenn das in Art. 1 der Nitratrichtlinie ausgewiesene Hauptziel, die durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verursachte oder ausgelöste Gewässerverunreinigung zu verringern und zu verhüten, nicht realisiert wird. Natürliche und juristische Personen können bei den nationalen Behörden – ggf. unter Anrufung der zuständigen Gerichte – die Einhaltung dieser Verpflichtungen verbindlich einfordern.

 

Da die prozessuale Situation im Verwaltungsrecht auch in Deutschland die Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte verlangt, dürfte die Entscheidung unmittelbare Wirkung auch für Betroffene in Deutschland haben.


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