WISSENSWERTES | 31.01.2025
Scheinselbständigkeit von Honorarlehrkräften – Gesetzliche Übergangsregelung beschlossen
Lange galt für die lehrende Tätigkeit sog. Honorar-Lehrkräfte eine „Sonderrechtsprechung“, wonach diese grundsätzlich als selbstständige Tätigkeiten zu beurteilen war (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2004, B12 KR 26/20 R).
Das sog. „Herrenberg-Urteil“ (Urteil vom 28. Juni 2022, B 12 R 3/20 R) des Bundessozialgerichts (BSG) markierte jedoch einen Wendepunkt in der Rechtsprechung zur Sozialversicherungspflicht von Lehrkräften. Darin hat das BSG grundlegende Kriterien definiert, die für die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung bei als Honorarkräften beschäftigten Lehrkräften maßgeblich sein sollen. Die Tendenz ging dahin, dass in Abkehr von der früheren Rechtsprechung regelmäßig von einer abhängigen Beschäftigung mit entsprechenden Beitragspflichten zur Gesamtsozialversicherung auszugehen sein sollte. Erst kürzlich hat das BSG diese Linie nochmals bestätigt (Urteil vom 5. November 2024, B 12 BA 3/23 R). Dabei hat es klargestellt, dass die frühere „Sonderrechtsprechung“ keinen Vertrauensschutz dahin begründet, dass eine lehrende Tätigkeit – insbesondere als Dozent an einer Volkshochschule – bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig anzusehen wäre. Die Betroffenen könnten sich deshalb nicht auf den Fortbestand einer früheren Rechtsprechung berufen und wurden auch nicht damit gehört, dass sie durch die Beitragszahlung für vergangene Zeiträume unzumutbar zusätzlich belastet würden.
Das erwähnte „Herrenberg-Urteil“ hatte weitreichende Konsequenzen für die Praxis. Die Sozialversicherungsträger (GKV-Spitzenverband, Deutsche Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit) hatten sich in einem Gemeinsamen Besprechungsergebnis vom 4. Mai 2023 auf die „Versicherungsrechtliche Beurteilung von Lehrern und Dozenten“ verständigt. Dieses Besprechungsergebnis war seit 1. Juli 2023 Grundlage für Betriebsprüfungen der Deutschen Rentenversicherung und führte dazu, dass viele bislang selbständig tätige Honorarkräfte als abhängig Beschäftigte eingestuft wurden.
Der Einsatz von Honorarkräften stand faktisch vor dem Aus. Auftraggebern drohten bei Betriebsprüfungen erhebliche Beitragsnachforderungen. Zahlreiche Honorar-Lehrkräfte wollten ihrerseits aber gar nicht fest angestellt arbeiten.
Seit Mitte 2024 gibt es zwischen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und verschiedenen Akteuren der Aus- und Weiterbildung Fachgespräche zum Einsatz von Honorarlehrkräften, in denen Organisationsmodelle für eine selbständige Tätigkeit von Lehrkräften festgelegt und Empfehlungen für rechtssichere Beschäftigungsmodelle gegeben werden sollen.
Um den Beteiligten Luft zu verschaffen, ist nun auch der Gesetzgeber tätig geworden: In der letzten Sitzungswoche vor den Neuwahlen ist eine Übergangsregelung auf den Weg gebracht worden, die sich – etwas versteckt – im „Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR“ findet. Damit wird ein neuer § 127 SGB IV eingeführt, der eine Übergangsregelung zur Sozialversicherungspflicht für Lehrkräfte bis Ende 2026 schafft und eine fingierte sozialversicherungsrechtliche Selbstständigkeit bei Einverständnis der Beteiligten vorsieht. In dieser Zeit können Lehrkräfte, die einen Honorarvertrag abgeschlossen haben, als Selbständige weiterbeschäftigt werden, auch wenn bei einer Statusfeststellung der Deutschen Rentenversicherung herauskommt, dass sie scheinselbständig sind. Die ansonsten zwingende Nachforderung von Sozialbeiträgen entfällt. Die Neuregelung hat folgenden Wortlaut:
„§ 127
Übergangsregelung für Lehrtätigkeiten
(1) Stellt ein Versicherungsträger in einem Verfahren zur Feststellung des Erwerbsstatus nach § 7a oder im Rahmen der Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung nach § 28h Absatz 2 oder § 28p Absatz 1 Satz 5 fest, dass bei einer Lehrtätigkeit eine Beschäftigung vorliegt, so tritt Versicherungspflicht aufgrund dieser Beschäftigung erst ab dem 1. Januar 2027 ein, wenn
1. die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind und
2. die Person, die die Lehrtätigkeit ausübt, zustimmt.
Sofern keine solche Feststellung vorliegt und die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind und die Person, die die Lehrtätigkeit ausübt, gegenüber dem Vertragspartner zustimmt, tritt bis zum 31. Dezember 2026 keine Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund einer Beschäftigung ein.
(2) Sofern die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind, gelten ab dem … [einsetzen: Tag nach der Verkündung] bis zum 31. Dezember 2026 die betroffenen Personen als Selbständige im Sinne der Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht für selbständig tätige Lehrer nach dem Sechsten Buch. Abweichend von Satz 1 gelten für Personen, bei denen die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt sind und die mit der Lehrtätigkeit nach Absatz 1 die Voraussetzungen des § 1 des Künstlersozialversicherungsgesetzes erfüllen würden, wenn diese als selbständige Tätigkeit ausgeübt würde, die Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz bis zum 31. Dezember 2026 entsprechend.
(3) Sofern die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind, gelten Pflichtbeiträge, die aufgrund der Lehrtätigkeit nach den Vorschriften für selbständig tätige Lehrer nach dem Sechsten Buch vor dem … [einsetzen: Tag nach der Verkündung] entrichtet wurden, als zu Recht entrichtet.
(4) Sofern die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt sind, gilt für die betroffenen Personen, die zum Zeitpunkt der Feststellung nach Absatz 1 Satz 1 oder der Zustimmung nach Absatz 1 Satz 2 nach § 28a des Dritten Buches versichert waren, § 28a des Dritten Buches ab Beginn der Beschäftigung bis zum 31. Dezember 2026 entsprechend.“
Das Gesetz sorgt für Aufatmen bei Bildungsträgern und stellt sicher, dass Dozenten, die mit Bildungseinrichtungen auf Basis von Honorarverträgen zusammenarbeiten und gemeinsam mit ihren Auftraggebern bisher von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen sind, nicht nachträglich in die Sozialversicherungspflicht gezwungen werden und auch nicht rückwirkend eine Versicherungspflicht mit erheblichen Beitragsnachforderungen begründet wird. Für zwei Jahre können Selbstständige weiter Lehrtätigkeiten ausüben, ohne eine Einstufung als abhängig Beschäftigte fürchten zu müssen.
Damit ist eine erhebliche Rechtsunsicherheit beseitigt, die für große Verunsicherung bei Bildungsträgern gesorgt hatte. Die Einrichtungen haben jetzt genügend Zeit, um ihre Organisationsmodelle weiterzuentwickeln. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben. Auch wenn ihnen erst einmal etwas Luft verschafft wurde, müssen Bildungseinrichtungen sorgfältig prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen sie ab dem 1. Januar 2027 noch selbständig tätige Auftragnehmer in der Lehrtätigkeit einsetzen können.