WISSENSWERTES | 09.05.2018

Sanierungsgewinne steuerpflichtig ? Eine unendliche Geschichte

 
Häufig entstehen bei Sanierungen – z. B. durch Forderungsverzichte – Sanierungsgewinne. Bis zum Jahr 1997 bestand eine gesetzliche Regelung, die Sanierungsgewinne von der Einkommen- und Körperschaftsteuer befreite. Nach Wegfall dieser gesetzlichen Vorschrift hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Jahr 2003 mit einem BMF-Schreiben diese Steuerfreiheit aus Billigkeitsgründen faktisch wieder eingeführt. Dieser sogenannte „Sanierungserlass“ fand regelmäßig bei Sanierungen innerhalb und außerhalb von Insolvenzverfahren Anwendung. Trotz einiger Mängel konnte die Praxis mit diesem Erlass „leben“.
 

BFH-Beschluss vom 28.11.2016 – BFH kippt den Sanierungserlass

Wie wir schon berichtet hatten, kam im Jahr 2016 wieder Bewegung in die Frage der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen: Der Große Senat des Bundesfinanzhofs hatte mit Beschluss vom 28.11.2016 (GrS 1/15) entschieden, dass der „Sanierungserlass“ gegen das Grundgesetz verstößt. Hierbei ging es nicht vordergründig um die Grundgesetzwidrigkeit der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen. Der Große Senat bemängelte vielmehr, dass die Steuerfreiheit nicht per Gesetz, sondern nur per Verwaltungsvorschrift geregelt wurde.
 

Gesetzliche Neuregelung durch § 3a EStG vom 08.02.2017

Dieser Beschluss des Großen Senats führte fortan zu erheblichen Problemen; wirtschaftlich sinnvolle Sanierungen drohten an der Steuerpflicht der Sanierungsgewinne zu scheitern. Der Gesetzgeber reagierte recht schnell auf dieses Urteil. Bereits im Februar 2017 wurde eine neue gesetzliche Regelung (§ 3a EStG) auf den Weg gebracht. Der Bundesrat stimmte dieser Neuregelung am 02.06.2017 zu. Allerdings ist diese bis heute noch nicht in Kraft getreten, da das Ergebnis einer beihilferechtlichen Prüfung durch die Europäische Kommission noch aussteht.
 

BMF-Schreiben vom 27.04.2017 – Sicherung der Steuerfreiheit !?

Da die Neuregelung des § 3a EStG aufgrund der beihilferechtlichen Prüfung noch nicht gilt, hat das Bundesministerium der Finanzen mit BMF-Schreiben vom 27.04.2017 ergänzende „Übergangsregelungen“ geschaffen. Danach sollte der „Sanierungserlass“ für alle Fälle weiterhin anwendbar sein, in denen die Sanierungsgewinne durch Sanierungsmaßnahmen bis zum 08.02.2017 entstanden sind. Darüber hinaus wurden Regelungen zur Fortgeltung bzw. zum Widerruf von verbindlichen Auskünften getroffen.
 

BFH-Urteil vom 23.08.2017 – BFH wendet sich gegen das BMF-Schreiben vom 27.04.2017

Die mit dem vorgenannten BMF-Schreiben vom 27.04.2017 durchaus positive Reaktion der Finanzverwaltung auf die verschärfte Rechtsprechung des BFH wurde sodann mit zwei neuen BFH-Urteilen vom 23.08.2017 (I R 52/14, X R 38/15) wiederum verworfen. Der BFH hat mit diesen beiden Urteilen auch den von der Finanzverwaltung geschaffenen Übergangsregelungen eine Abfuhr erteilt. Aus seiner Sicht ist eine Fortgeltung des „Sanierungserlasses“ auf der Grundlage eines Schreibens der Finanzverwaltung nicht zulässig; es bedarf auch hierfür einer gesetzlichen Grundlage.
 

BMF-Schreiben vom 29.03.2018 – Nichtanwendung der BFH-Urteile

Nunmehr geht der Streit zwischen dem Bundesfinanzhof und dem Bundesministerium der Finanzen in eine neue Runde. Mit einem sogenannten „Nichtanwendungserlass“ vom 29.03.2018 hat das Bundesministerium der Finanzen entschieden, dass die verschärfte Rechtsprechung des BFH zur Nichtanwendbarkeit des „Sanierungserlasses“ von der Finanzverwaltung nicht angewendet wird. Die Finanzverwaltung sieht sich weiterhin an die Fortgeltung der Übergangsregelungen für „Altfälle“ gemäß BMF-Schreiben vom 27.04.2017 gebunden.
 

Fazit

Die „unendliche Geschichte“ zur steuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen ist ein weiteres Beispiel für die Komplexität und Vielschichtigkeit des Steuerrechts. Es zeigt sich, dass durchaus positive Entscheidungen der Finanzverwaltung bezüglich der Gewährung von Steuerbefreiungen einer gesetzlichen Grundlage bedürfen; Verwaltungsentscheidungen können keine Gesetze ersetzen. Der „Nichtanwendungserlass“ vom 29.03.2018 bindet die Finanzverwaltung. Er gibt somit Steuerpflichtigen, die von den Übergangsregelungen zur Fortgeltung des „Sanierungserlasses“ betroffen sind, Rechtsicherheit. Aktuelle Sanierungen werden erschwert, da die gesetzliche Neuregelung des § 3a EStG noch nicht in Kraft getreten ist. Es bleibt zu hoffen, dass die fehlende Genehmigung der Europäischen Kommission dafür alsbald erteilt wird.


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