WISSENSWERTES | 03.07.2017
Rechtsmissbräuchliche Geltendmachung einer Vertragsstrafe – außerordentliche Kündigung eines Unterlassungsvertrages
Mit Urteil vom 9. Dezember 2016 hat das Kammergericht (KG) Berlin (Az.: 5 U 163/15, 5 W 27/16) entschieden, dass eine außerordentliche Kündigung eines Unterlassungsverpflichtungsvertrages begründet sein kann, wenn dem Zustandekommen des Vertrages ein missbräuchliches Verhalten des Unterlassungsgläubigers zugrunde gelegen hat. Bei einem unter solchen Umständen geschlossenen Vertrag kann der Geltendmachung einer Vertragsstrafe bereits vor dessen Kündigung der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden.
Missverhältnis zwischen Abmahntätigkeit und gewerblichen Interessen
Die Parteien des Rechtsstreits sind Mitbewerber im Bereich der Unterhaltungselektronik. Außergerichtlich hatte der Kläger die Beklagte aufgrund der Verletzung verschiedener Kennzeichnungspflichten bei Kopfhörern abgemahnt und auf Unterlassung in Anspruch genommen. Nachdem zwischen den Parteien ein Unterlassungsvertrag geschlossen wurde, stellte der Kläger verschiedene Verstöße gegen das Unterlassungsgebot fest und nimmt die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung von seiner Meinung nach verwirkten Vertragsstrafen in Anspruch. Die Beklagte, die den zwischen den Parteien geschlossenen Unterlassungsvertrag im Laufe des Rechtsstreits außerordentlich gekündigt hat, stützt ihre Verteidigung im Wesentlichen auf den Missbrauchseinwand (§ 8 Abs. 4 S. 1 UWG; § 242 BGB). Die Geltendmachung der Ansprüche durch den Kläger sei bereits unzulässig, da es dem Kläger an der notwendigen Prozessführungsbefugnis fehlen würde und die Klage damit als unzulässig abzuweisen sei. Widerklagend macht die Beklagte Ersatz der für ihre Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen geltend (§ 8 Abs. 4 S. 2 UWG). Mit Urteil vom 9. Dezember 2015 hat das Landgericht Berlin (Az.: 97 O 125/14) die Klage abgewiesen und den Kläger der Widerklage entsprechend zum Ersatz der erforderlichen Aufwendungen der Beklagten verurteilt.
Wichtiger Grund für außerordentliche Kündigung des Unterlassungsvertrages
Im Berufungsurteil des KG Berlin vom 9. Dezember 2016 bestätigt das Gericht im Wesentlichen die Vorinstanz. Die Beklagte habe jedenfalls den Unterlassungsvertrag wirksam außerordentlich kündigen können. Der auf Grundlage einer missbräuchlichen Abmahnung, die das Gericht unter anderem mit dem Missverhältnis zwischen der Abmahntätigkeit des Klägers und seinen gewerblichen Interessen begründet, geschlossener Unterlassungsvertrag könne nicht nur nach § 314 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden, sondern der Geltendmachung von Vertragsstrafen stünde auch schon vor der Kündigung der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen. Zudem deute die wirtschaftliche Ausgangsposition des Klägers, der seinen Prozessvertretern bereits erhebliche Zahlungsansprüche zur Sicherung ihrer Gebührenforderungen abgetreten hatte, darauf hin, dass es der Kläger zumindest „sehenden Auges“ in Kauf genommen habe, etwaige Kostenerstattungsansprüche der abgemahnten Mitbewerber nicht erfüllen zu können, sodass diese das nicht unerhebliche Prozess(kosten)risiko allein aufgebürdet bekommen.
Unterlassungsverträge sind grundsätzlich zu erfüllen – außerordentliche Kündigung nur im Ausnahmefall
Das Gericht stellt in seiner Entscheidung zunächst deutlich heraus, dass auch Unterlassungsverträge – wie jeder sonstige Vertrag auch – grundsätzlich zu erfüllen sind. Ein Recht zur außerordentlichen Kündigung ist stets die Ausnahme und kommt im Falle einer ansonsten berechtigten Abmahnung nur in Betracht, wenn ein wichtiger Grund (§ 314 Abs. 1 BGB) dergestalt vorliegt, dass die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung gegeben sei, was in ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann der Fall ist, wenn der dem vertraglich vereinbarten Verbot zugrunde liegende gesetzliche Unterlassungsanspruch wegfällt (statt vieler nur: BGH, Urteil vom 8. Mai 2014, I ZR 210/12 – fishtailparka). Gleiches soll nun nach Auffassung des Gerichts, das sich insoweit in die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte einreiht (siehe z. B. auch OLG Hamm, Urteil vom 17. August 2010, Az.: I – 4 U 62/10, – Industriesauger), auch dann der Fall sein, wenn sich die Abmahnung nachträglich als rechtswidrig, weil missbräuchlich herausstellt. Es ist daher dringend zu empfehlen, das Verhalten des Unterlassungsgläubigers auch nach Abschluss des Unterlassungsvertrages, der üblicherweise einer recht langen Lebensdauer entgegensieht, im Blick zu behalten und Möglichkeiten der Vertragsbeendigung zu evaluieren.
Hinweis: Das KG Berlin hat die Revision zugelassen. Diese wird bei dem BGH unter dem Az. I ZR 6/17 geführt.