WISSENSWERTES | 21.03.2023

Neue Entwicklung: Mögliche Sozialversicherungspflicht des Allein-Gesellschafter-Geschäftsführers

Seit dem Jahr 2022 zeigt sich eine neue und überraschende Entwicklung zu einer möglichen Sozialversicherungspflicht des Allein-Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH oder UG.

 

Bisher geltende Grundsätze

 

Mit mehreren Grundsatzentscheidungen veränderte das Bundessozialgericht (BSG) seit dem Jahr 2015 die Antwort auf die Frage, wann Geschäftsführer einer GmbH oder UG sozialversicherungsfrei sind. Seither gilt: Fremdgeschäftsführer sind sozialversicherungspflichtig. Gesellschafter-Geschäftsführer sind sozialversicherungsfrei, wenn sie entweder über eine 50%ige oder höhere Beteiligung am Stammkapital der Gesellschaft oder satzungsgemäß über eine die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügen.

 

Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) hat seine Hinweise zu den Kriterien für die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht unter dem Datum vom 1. April 2022 aktualisiert und auf rund 140 Seiten zusammengefasst. Sehr lesenswert ist dort die Anlage 3 (ab Seite 49 bis 59 des Dokuments), in der die „Versicherungsrechtliche Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern, Fremdgeschäftsführern und mitarbeitenden Gesellschaftern einer GmbH, sowie Geschäftsführern einer Familien-GmbH “ sehr gut dargestellt ist. Die Darstellung wird ergänzt (ab Seite 60 bis Seite 104 des Dokuments) mit einer Rechtsprechungsübersicht , in der in chronologischer Reihenfolge die Entwicklung nachvollzogen werden kann.

 

Neue Entwicklung

 

Die dargestellten Grundsätze gelten allerdings seit dem Jahr 2022 nicht mehr uneingeschränkt. Anlass ist eine Entwicklung in der Praxis, wonach Krankenhäuser dazu übergehen, mit Pflegekräften zusammenzuarbeiten, die nicht in einem Anstellungsverhältnis zu dem Krankenhaus beschäftigt werden. Vielmehr gründet die Pflegekraft eine GmbH oder UG, deren alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer sie ist. Die GmbH bzw. UG ist im Handelsregister eingetragen und hat als Unternehmensgegenstand die stationäre und ambulante Krankenpflege. Die Pflegekraft schließt mit der GmbH bzw. UG einen Geschäftsführer-Anstellungsvertrag. Sodann beauftragt das Krankenhaus die GmbH bzw. UG auf Basis eines Dienstleistungsvertrages zu einem Stunden- oder Tageshonorar mit der Erbringung von Pflegeleistungen im Krankenhaus.

 

Bis zum Jahr 2021 war der sozialversicherungsrechtliche Status der Pflegekraft ein klarer Fall. Nach den oben skizzierten Grundsätzen war die Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH bzw. UG sozialversicherungsfrei. So hatte das LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. November 2021, Az. L 26 BA 6/20 den Fall entschieden. Auch das LSG Hessen, Urteil vom 18.November 2021, Az. L 1 BA 25/21 sah dies nicht anders. Bereits offener sah es das LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18. März 2022, Az. L 1 BA 54/18, in dem es ausführte, dass zwar verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich und auch im daran anknüpfenden Sozialrecht eine grundsätzliche Verpflichtung gilt, die vom bürgerlichen Recht gewährleistete und ausgestaltete eigenständige Existenz und Handlungsfähigkeit juristischer Personen anzuerkennen. Allein der formale Akt einer Gründung einer juristischen Person verbiete aber nicht die Prüfung, ob ausnahmsweise doch ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegen könne. Das BSG wird sich damit demnächst unter dem Az. B 12 BA 4/22 R befassen. Das LSG Sachsen, Urteil vom 15. November 2022, Az. L 9 BA 38/19 geht sogar noch einen Schritt weiter und führte (unter Zulassung der Revision zum BSG, dort anhängig unter Az. B 12 BA 1/23 R) aus, dass mit Antritt der Beschäftigung als Pflegefachkraft im Krankenhaus diese faktisch ihre Organstellung als Geschäftsführer beendet habe, weil sie sich dem Weisungsrecht des gesamtverantwortlichen Krankenhauses unterordne und sich in dessen fremdbestimmten organisatorischen Rahmen und deren Betriebsabläufe eingliedert habe.

 

Praxistipp

 

Gesellschafter-Geschäftsführer können sozialversicherungspflichtig sein, auch wenn sie an der GmbH oder UG mit mehr als 50% beteiligt sind. Dies gilt nicht nur in den auch schon früher diskutierten Fällen, in denen ein Scheingeschäft, ein offensichtlicher Rechtsmissbrauch oder eine (unerlaubte) Arbeitnehmerüberlassung vorlagen.

 

Vielmehr ist zukünftig in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob und in welchem Umfang eine Eingliederung des Geschäftsführers in eine fremde Betriebsorganisation vorliegt. Dies gilt nicht nur in dem Fall von Pflegekräften, sondern könnte zum Beispiel auch für (Interim-)Manager gelten, die sich nicht bei der von ihnen gemanagten Gesellschaft anstellen lassen, sondern der Einsatz auf Basis eines Dienstleistungsvertrags mit einer Beratungsgesellschaft erfolgt, die dem Manager gehört.


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