WISSENSWERTES | 06.06.2016
Kunstfreiheit versus Urheberrecht
Mit Urteil vom 31. Mai 2016 (Az. 1 BvR 1585/13) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) jüngst eine vor allem in der Musikszene viel beachtete Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. Dezember 2012 („Metall auf Metall II“, Az. I ZR 182/11) aufgehoben. Dieser hatte das „Sampling“ einer lediglich zwei Sekunden langen Sequenz eines Musikstückes der Band „Kraftwerk“ als urheberrechtswidrig verboten. Gestützt auf die Verletzung von Grundrechten hatte u.a. der Produzent dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Diese hielt das BVerfG nun wegen Verletzung der Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz (GG), für begründet und hat die Sache an den BGH zurückverwiesen.
Der BGH hatte ebenso wie die Vorinstanzen in der von den Beklagten vorgenommenen Verwendung der Aufnahme für die Erstellung eines neuen Musikwerks für die Sängerin Sabrina Setlur keine freie Benutzung im Sinne des § 24 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG) gesehen und deshalb eine Verletzung des Tonträgerherstellungsrechts der Kläger gemäß § 85 Abs. 1 S. 1 UrhG bejaht.
Grundrechtliche Abwägung erforderlich
Das BVerfG mahnt jetzt eine differenziertere Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechtspositionen – der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG in der Ausprägung urheberrechtlicher Ausschließlichkeitsrechte einerseits und der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG andererseits – an. Es urteilte, dass die Auslegung und Anwendung der urheberrechtlichen Vorschriften in den bisherigen Gerichtsentscheidungen der Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung getragen hat und forderte eine „kunstspezifische Betrachtung“, bei der „Intensität und Ausmaß der Auswirkungen der verschiedenen Auslegungs- und Anwendungsvarianten auf die betroffenen Rechtsgüter beider Parteien zu ermitteln und bei der Entscheidung zu berücksichtigen“ sind.
Dies ist insofern bemerkenswert, als das deutsche Urheberrecht eine allgemeine Abwägung mit Grundrechten von Rechtsverletzern – ähnlich dem sog. „fair use“ im anglo-amerikanischen Recht – nicht kennt. Nach herkömmlicher Rechtsprechung konnten Eingriffe in die den Urhebern bzw. den Leistungsschutzberechtigten durch das UrhG zugewiesenen absoluten Rechte – im nun entschiedenen Fall solche des Tonträgerherstellers gemäß § 85ff. UrhG – vielmehr nur dann gerechtfertigt sein, wenn eine der grundsätzlich eng auszulegenden Schrankenbestimmungen der §§ 44ff. UrhG einschlägig waren oder eben eine freie Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG vorlag.
Fazit:
Der vom BVerfG postulierte „Abwägungsvorbehalt“ bei der Auslegung und Anwendung urheberrechtlicher Vorschriften stellt eine durchaus beachtliche Aufweichung der herkömmlichen, eher strengen deutschen Rechtsprechung im Urheberrecht dar. Das Urteil reiht sich damit in eine Reihe weiterer aktueller Entscheidungen deutscher und europäischer Gerichte zu dieser Thematik ein und schreibt eine Tendenz zur Überlagerung des Urheberrechts durch Verfassungs- und Europarecht fort.
Daraus ergeben sich, je nach Betrachtungswinkel, entweder neue Gefährdungen für das geistige Eigentum schöpferisch Tätiger oder umgekehrt neue Verteidigungsstrategien bei Rechtsverletzungen durch Handlungen, mit denen ernsthaft andere Grundrechte wahrgenommen werden. Neben der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit kommen hier insbesondere die Grundrechte der freien Meinungsäußerung, die Presse- und Rundfunkfreiheit sowie die Informationsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG in Betracht.
Für eine diesbezügliche Beratung und Vertretung stehen Ihnen die urheberrechtlich erfahrenen Rechtsanwälte von PETERSEN HARDRAHT PRUGGMAYER gerne zur Verfügung.