WISSENSWERTES | 21.01.2021

GmbH: Anspruch auf virtuelle Gesellschafterversammlung

 

Lange Zeit galt, dass nur mit Einverständnis aller Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ein Gesellschafterbeschluss im schriftlichen Umlaufverfahren gefasst werden durfte. Dies regelt § 48 Abs. 2 GmbHG. Die Frage, ob neben dem Geschäftsführer auch Gesellschafter das Recht haben, eine solche Form der Beschlussfassung zu verlangen oder gar gerichtlich zu erzwingen, stellte sich in der Praxis wegen des gesetzlich geforderten Einverständnisses aller Gesellschafter nicht. Dies hat sich geändert.

 

Die COVID-19-Pandemie lies den Gesetzgeber in § 2 COVMG Sonderregelungen beschließen, die es – befristet bis zum Ablauf des 31. Dezember 2021 – ermöglichen, dass Beschlüsse im Umlaufverfahren auch ohne Einverständnis aller Gesellschafter gefasst werden können. Über diese Neuregelung hatten wir bereits im März 2020 in unserem Beitrag „Die präsenzlose (virtuelle) Beschlussfassung bei der GmbH“ berichtet.

 

Seither konnten viele Geschäftsführer die Herausforderungen meistern und dringend notwendige Entscheidungen der Gesellschafter auf diesem Weg herbeiführen, auch wenn physische Treffen und die Durchführung von Gesellschafterversammlungen aufgrund der pandemischen Lage nicht möglich waren.

 

Problem: Der (un)verantwortlich handelnde Geschäftsführer

 

Was aber gilt, wenn zwar ein Teil der Gesellschafter auf diese Art beschließen will, andere Gesellschafter aber auf eine Präsenzversammlung bestehen und der Geschäftsführer aus diesem Grund oder anderen Motiven die Einleitung einer Beschlussfassung in Textform verweigert? Hat jeder Gesellschafter das Recht und einen einklagbaren Anspruch auf Beschlussfassung im Umlaufverfahren?

 

Dies hat der Gesetzgeber im COVMG nicht geregelt, möglicherweise wie viele andere auch in dem festen Glauben, dass sich ein verantwortlich handelnder Geschäftsführer einem Verlangen auf eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren nicht entziehen wird. Die Praxis zeigt, dass es solche Geschäftsführer nicht überall gibt. Immer öfter und drängender stellt sich daher die in der Rechtsliteratur heftig umstrittene Frage, wer neben dem Geschäftsführer das Recht zur Einleitung einer Abstimmung nach § 2 COVMG hat.

 

Lösungssuche im Gesellschaftsvertrag

 

Ein Blick in den Gesellschaftsvertrag der GmbH wird in aller Regel keine Lösung bieten. Es wird nur sehr wenige Satzungen geben, die die seit dem letzten Jahr und zudem auch nur befristet geltende gesetzliche Neuregelung bereits umsetzen.

Viel häufiger wird der Fall anzutreffen sein, dass die Satzungsregelungen dem Wortlaut nach in Widerspruch zur gesetzlichen Neuregelung stehen. Dann stellt sich die Frage, ob die Gesellschafter im Kern nur § 48 Abs. 2 GmbHG wiederholt haben, was die Anwendung von § 2 COVMG nicht sperren würde, oder aber eine detaillierte und in vielen Punkten von § 48 Abs. 2 GmbHG abweichende Regelung vereinbart haben – was dann dafür spricht, der maßgeschneiderten vertraglichen Regelung den Vorrang zu geben.

 

Lösungssuche im Gesetz

 

Die Regelung in § 50 Abs. 3 GmbHG hilft hier nicht. Zwar können nach dieser Vorschrift Gesellschafter, die mindestens 10% der Geschäftsanteile halten, von dem Geschäftsführer die Einberufung einer Gesellschafterversammlung verlangen, oder bei dessen Weigerung die Gesellschafterversammlung dann selber einberufen. Aber dieser Weg wird, wenn der Geschäftsführer taktisch geschickt agiert, nur wieder zu einer Präsenzveranstaltung führen, an der dann nicht alle Gesellschafter teilnehmen können bzw. dürfen oder aus Vorsichtsgründen wollen.

 

Lösungsfindung nach Sinn und Zweck

 

Die in der Rechtsliteratur herrschende Meinung fragt deshalb nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung und kommt so zu dem Ergebnis, dass Initiator eines nicht einvernehmlichen Umlaufbeschlusses neben dem Geschäftsführer jede Person sein kann, die durch die Satzung oder nach Gesetz zur Einberufung von Gesellschafterversammlungen berechtigt ist. Gesellschafter, die zusammen mindestens 10% des Stammkapitals halten, müssen ihr Verlangen zunächst an die Geschäftsführung richten und nur, wenn dem Verlangen nicht entsprochen wird oder Geschäftsführer nicht vorhanden sind, können sie das Umlaufverfahren selbst einleiten. Diese Lösung überzeugt und steht im Einklang mit der Systematik des Gesetzes.

 

Die Mehrheit braucht es nicht

 

Nicht überzeugend ist die von Teilen der Rechtsliteratur vertretene Ansicht, zumindest die Mehrheit der Gesellschafter müsse ihre Zustimmung zu einem Umlaufverfahren erklären. Sie verweisen dazu auf die Regelung in § 5 Abs. 3 COVMG, die jedoch ausdrücklich nur für den Verein gilt. Es ist kaum anzunehmen, dass es in § 2 COVMG eine unbeabsichtigte Gesetzeslücke gibt, auch wenn das COVMG hastig und fast ohne jede Beratung im Rechtsauschuss und Parlament beschlossen wurde.

 

Jeder Minderheitsgesellschafter darf nicht

 

Progressive Vertreter in der Rechtsliteratur gehen im Vergleich zur herrschenden Meinung einen Schritt weiter und wollen jedem Gesellschafter auch unterhalb der 10%-Schwelle das Recht geben, ein Umlaufverfahren initiieren zu können. Sie berufen sich auf die bis zum Beginn des Jahres 2020 geltende Lesart von § 48 Abs. 2 GmbHG. Dabei wird jedoch verkannt, dass nach § 48 Abs. 2 GmbHG die Zustimmung aller Gesellschafter gefordert war und bei deren Fehlen die Initiative eines einzelnen Gesellschafters einfach ins Leere ging. Das ist bei dem nun erleichterten Verfahren nach § 2 COVMG anders – hier müssen die anderen Gesellschafter reagieren, um einen von ihnen nicht gewünschten Beschluss zu verhindern. Die Gegner so weitgehender Rechte eines jeden Gesellschafters weisen zudem darauf hin, dass sonst jeder kleinstbeteiligte Gesellschafter Tag für Tag einen Umlaufbeschluss beantragen könnte, der dann von den anderen Gesellschaftern immer zumindest mit einem negativen Votum per Textform beantwortet werden müsste. Es erscheint offen, dass dies als noch zumutbare Anstrengung der anderen Gesellschafter angesehen werden kann.. Zudem bleibt die Frage, wie ein solch weites Verständnis mit der gesetzlichen Wertentscheidung, wie sie in § 50 GmbHG zum Ausdruck kommt, in Einklang zu bringen ist.

 

Praxistipps

 

Es ist möglich und richtig, Gesellschafterbeschlüsse auch ohne Mitwirkung des Geschäftsführers im Umlaufverfahren zu initiieren, wenn der Geschäftsführer einem entsprechenden Verlangen eines Gesellschafters nicht entspricht. Der oder die das Umlaufverfahren einleitende(n) Gesellschafter müssen zusammen mindestens 10% des Stammkapitals halten.

 

Die Beschlussfassung im Umlaufverfahren kann grundsätzlich für alle Themen erfolgen, über die auch eine Gesellschafterversammlung beschließen könnte. Dies gilt auch für Satzungsänderungen, wegen zwingender gesetzlicher Regelungen nicht aber auch für Beschlüsse nach dem Umwandlungsgesetz.

 

In der Einladung sollte darauf geachtet werden, dass dies mit § 2 COVMG begründet wird und Hinweise dazu erfolgen, welche Folgen es haben kann, wenn sich die anderen Gesellschafter nicht beteiligen.

 

Beschlussvorschläge sind so zu formulieren, dass sie mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden können. Sie müssen zudem so vollständig sein, dass sie im Falle der zustimmenden Beschlussfassung auch vollziehbar sind.

 

Es muss zudem sichergestellt werden, dass alle Gesellschafter von der geplanten Beschlussfassung informiert werden und Gelegenheit zur Stimmabgabe haben, was eine angemessene Antwortfrist (in der Regel mindestens sieben Tage) mit einschließt.

 

Beschlussfassungen per Telefon- oder Videokonferenz sind von der gesetzlichen Neuregelung nicht erfasst, bedürfen also wie zuvor allseitigen Einverständnisses oder einer ausdrücklichen Satzungsregelung.

 

Fazit

 

Bei gründlicher Vorbereitung kann nach der gesetzlichen Neuregelung eine rechtssichere Entscheidung der Gesellschafter herbeigeführt werden, auch wenn der Geschäftsführer oder einzelne Gesellschafter dies unter Hinweis auf eine (vermeintlich) notwendige Präsenzveranstaltung verhindern wollen.


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