WISSENSWERTES | 19.06.2025

EU-Wiederherstellungsverordnung und Bergbauvorhaben sowie Industrievorhaben in Zulassungsverfahren

Am 18. August 2024 ist die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur in Kraft getreten (WVO, EU 2024/1991). Sie soll dazu beitragen, die biologische Vielfalt in Europa langfristig zu erhalten und die Widerstandsfähigkeit der Natur gegenüber dem Klimawandel zu erhöhen. Aussagen zur Verbindlichkeit und Umsetzung der Verordnung sind umso wichtiger, als in der Rechtspraxis gravierende Unsicherheit im Umgang mit dem Regelwerk offenbar wurde. So hat das Land Brandenburg im Februar 2025 den Vollzug der WVO vorläufig ausgesetzt und dies mit fehlenden rechtlichen Vorgaben auf der Ebene der EU und der Bundesebene auch und gerade zur Umsetzung begründet.

 

Nachdem wir in einem ersten Beitrag 2024 bereits einen allgemeinen Überblick über die WVO gegeben hatten, möchten wir uns nun mit den Konsequenzen für die Rohstoffgewinnung und andere Industrievorhaben in Zulassungsverfahren be­schäftigen. Weitere Folgebeiträge werden sich den Anforderungen an städtische Ökosysteme und den Wiederherstellungszielen von Flüssen und Auen sowie Anforderungen für die Landwirtschaft widmen.

 

Zeitliche Anwendung

 

Grundsätzlich gilt die WVO für alle Vorhaben, deren Zulassungsverfahren nach dem 18. August 2024 durchgeführt wird. Allerdings ist mit Blick auf die einzelnen Ziel­setzungen sowie die Verbesserungsge- und Verschlechterungsverbote zu differenzieren (dazu im Folgenden).

 

Inhalt und Ziele der Wiederherstellungsverordnung

 

Durch die Verordnung werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Maßnahmen festzulegen und zu ergreifen, um geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen und sich in einem guten Zustand befindliche Ökosysteme vor einer Verschlech­terung zu bewahren. Bis 2030 sollen auf mindestens 20 Prozent der Land– und auf mindestens 20 Prozent der Meeresfläche der EU, die der Wiederherstellung bedürfen, Wiederherstellungsmaßnahmen ergriffen werden. Bis 2050 sollen alle Ökosysteme, die der Wiederherstellung bedürfen, mit Maßnahmen abgedeckt sein. Die Mitgliedstaaten müssen bis zum 1. September 2026 die Entwürfe ihrer natio­nalen Wiederherstellungspläne an die EU-Kommission übermitteln. In der an­schließenden Konsolidierungsphase finalisieren die Mitgliedstaaten ihre Entwürfe unter Berücksichtigung der Kommissionsauffassung. Eine Bindung an die Auf­fassung der Kommission ist nicht vorgesehen. Aus den Erwägungen der WVO ergibt sich der starke Bezug zwischen der Verordnung und den als Natura 2000 Gebiete geschützten Flächen, wenngleich die WVO über diese Flächenkulisse hinausgeht.

 

Gelten die Verpflichtungen auch unmittelbar gegenüber Vorhabenträgern?

 

Die genannten Wiederherstellungsziele sind zwar als Leitlinien für die Mitglied­staaten bindend, verpflichten aber nicht unmittelbar private Vorhabenträger. Es bedarf vielmehr für die Erreichung der Ziele der Verordnung der mitglied­staatlichen Erstellung eines nationalen Wiederherstellungsplans. Dieser soll dafür sorgen, dass auch Deutschland einen angemessenen Beitrag zum Erreichen der gemeinschaftlichen Ziele der EU leistet.

 

Umsetzung der Ziele über nationalen Wiederherstellungsplan

 

Zentrales Instrument der Wiederherstellung der Natur ist also der Wiederherstellungsplan. Dieser enthält insbesondere

 

– eine Beschreibung der zur Erreichung der Wiederherstellungsziele und -verpflichtungen gemäß den Art. 4 bis 13 der WVO geplanten oder ergriffenen Wiederherstellungsmaßnahmen und eine Angabe, welche dieser Wiederherstellungsmaßnahmen innerhalb des gemäß der Richtlinie 92/43/EWG eingerichteten Natura-2000-Netzes geplant sind oder ergriffen wurden

– eine Angabe der Maßnahmen, mit denen im Einklang mit Art. 4 Abs. 11 und Art. 5 Abs. 9 sichergestellt werden soll, dass sich der Zustand der Flächen der in den Anhängen I und II aufgeführten Lebensraumtypen auf den Flächen, auf denen ein guter Zustand erreicht wurde, nicht erheblich verschlechtert und dass sich die Habitate der in Art. 4 Abs. 7 und Art. 5 Abs. 5 genannten Arten auf den Flächen, auf denen eine ausreichende Qualität der Habitate der Arten erreicht wurde, nicht erheblich verschlechtern.

 

Die EU-Mitgliedstaaten werden verpflichtet, Wiederherstellungsmaßnahmen (siehe Anhang VII der Verordnung) zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Flächen der Lebensraumtypen (LRT), die sich in einem schlechten Zustand befinden, in einen guten Zustand zu versetzen. Dabei haben Flächen, die sich in Natura 2000-Gebieten befinden, Vorrang. Daneben soll die Gesamtfläche der Lebensraumtypen vergrößert werden.

 

Wiederherstellungsziele

 

Die Wiederherstellungsziele für Land-, Küsten- und Süßwasserökosysteme ergeben sich aus Art. 4 WVO. Dieses aus 17 Absätzen bestehende und mit diversen inhaltlichen Brüchen versehene Konstrukt besticht nicht gerade durch hohe Verständlichkeit und Anwenderfreundlichkeit. Grund genug, die wesentlichen Einzelregelungen etwas zu strukturieren. Art. 4 Abs. 1 WVO beinhaltet die grundlegenden flächenbezogenen Ziele der LRT in Anhang 1 und deren Umfang. Art. 4 Abs. 4 WVO beinhaltet demgegenüber die Forderung, Wiederherstellungs­maßnahmen für LRT auf Flächen zu ergreifen, die die LRT aktuell gerade nicht aufweisen, damit eine günstige Gesamtfläche für diese LRT erreicht wird. Art. 4 Abs. 7 WVO fordert schließlich zusätzlich noch Maßnahmen zur Wiederherstellung der Habitate der in den Anhängen II, IV und V der FFH-Richtlinie 92/43/EWG aufge­führten Arten und der Habitate der unter die Vogelschutz-Richtlinie 2009/147/EG fallenden wildlebenden Vogelarten. Zeitliche und quantitative Vorgaben dazu enthält die WVO nicht. Klar ist aber, dass hier eine gewisse Überschneidung mit den Maßnahmen nach Art. 4 Abs. 1 und 4 WVO besteht, da die dort benannten LRT-bezogenen Maßnahmen gleichermaßen habitatbezogen wirken können. Die Bestimmung der am besten für die Maßnahmen geeigneten Flächen spricht Art. 4 Abs. 8 WVO an. Die Umsetzung dieser Ziele erfolgt über den nationalen Wiederher­stellungsplan. Unmittelbare Geltung für Einzelvorhaben ergeben sich daher aus den reinen Zielsetzungen der WVO aktuell nicht.

 

Die WVO begründet anknüpfend an die Ziele des Art. 4 Abs. 1, 4 und 7 WVO aber auch ein System von Ge- und Verboten, die nach ihrer Bezeichnung den aus der FFH- und Wasserrahmenrichtlinie bekannten Schranken entsprechen. Da zu letzteren in der Rechtsprechung eine unmittelbare Geltung im Zulassungsverfahren befürwortet wird, sollen die Regelungen der WVO daraufhin untersucht werden.

 

Verbesserungsgebot

 

Art. 4 Abs. 11 UAbs. 1 WVO beinhaltet die Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Flächen, die Wiederherstellungs­maßnahmen gemäß den Absätzen 1, 4 und 7 unterliegen, eine kontinuierliche Verbesserung des Zustands der in Anhang I aufgeführten Lebensraumtypen bis zum Erreichen eines guten Zustands und eine kontinuierliche Verbesserung der Qualität der Habitate der in Absatz 7 genannten Arten bis zum Erreichen einer aus­reichenden Qualität dieser Habitate aufweisen. Aus dem Zielbezug folgt, dass der Schutz sich darauf richtet, einen „guten Zustand“ zu erreichen. Für die Flächen, die diesen Zustand bereits erreicht haben, gelten die Verschlechterungsverbote (dazu sogleich). Grundvoraussetzung ist, dass die jeweiligen Flächen Wiederherstellungs­maßnahmen unterliegen. Das wiederum wird durch den Wiederherstellungsplan bestimmt. Folglich gilt dieses Verbesserungsgebot erst dann bezüglich einzelner Vorhaben, wenn der Wiederherstellungsplan vorliegt und entsprechende Maßnahmen vorsieht. Aus der planungsorientierten Ausrichtung kann man schlussfolgern, dass – ähnlich wie beim System der WRRL – eine lediglich räumlich beschränkte und temporäre Verschlechterung infolge eines Vorhabens nicht der Zielerreichung entgegensteht. Es obliegt dann aber dem Plangeber, diese Aspekte übergeordnet zu bewerten und entsprechende Festlegungen zu treffen, die die Zielerreichung bis zu den nach der WVO vorgesehenen Zeitpunkten ermöglichen.

 

Verschlechterungsverbote

 

Art. 4 Abs. 11 UAbs. 2 WVO betrifft Flächen, auf denen ein guter Zustand der LRT und eine ausreichende Qualität der Habitate der Arten bereits erreicht wurde. Die Mitgliedstaaten müssen hier Maßnahmen ergreifen, mit denen sichergestellt werden soll, dass sich der Zustand nicht erheblich verschlechtert. Dieses Verbot erinnert an die entsprechenden Verschlechterungsverbote der FFH- und Wasserrahmenrichtlinie. Daher dürfte dieses grundsätzlich als verbindliches Verbot in Zulassungsverfahren zur Anwendung kommen. Allerdings ist Grundvoraus­setzung auch hier, dass zunächst die entsprechenden Flächen im nationalen Wiederherstellungsplan im Sinne von Art. 4 Abs. 8 WVO als Wiederherstellungs­flächen ausgewiesen sind. Solange dies noch nicht erfolgt ist, ergeben sich noch keine Wirkungen aus dem Verschlechterungsverbot des Art. 4 Abs. 11 WVO. Freilich gilt der ohnehin strenge Schutz des FFH-Gebietsschutzes. Erheblich sind nur deutliche Beeinträchtigungen, die nicht hinreichend abgemildert werden können. Nur kurzzeitige oder im Verhältnis zum Lebensraum/Habitat kleinräumige Verschlechterungen sind unerheblich.

 

Art. 4 Abs. 12 WVO beinhaltet ein weiteres Verschlechterungsverbot. Es erfasst Flächen, auf denen keine Wiederherstellungsmaßnahmen durchgeführt werden und die auch nicht als Wiederherstellungsflächen ausgewiesen werden. Gleichwohl sollen für Flächen mit LRT nach Anhang I, die sich schon in gutem Zustand befinden, Maßnahmen ergriffen werden, die erforderlich sind, um eine erhebliche Verschlechterung des Zustands der Flächen zu verhindern oder solche die erforderlich sind, um die Wiederherstellungsziele gemäß Art. 4 Abs. 17 WVO zu erreichen. Bezüglich der zuletzt genannten Variante bedarf es zunächst der Identifizierung der Flächen im Wiederherstellungsplan. Bezüglich der ersten Variante bedarf es keiner Ausweisung im Wiederherstellungsplan. Allerdings dürfte aus dem Anknüpfungspunkt für Maßnahmen „spätestens bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihrer nationalen Wiederherstellungspläne“ auch abzuleiten sein, dass erst mit deren Vorliegen konkrete Prüfanforderungen im Einzelfall abzuleiten sind.

 

Zudem lässt Art. 4 Abs. 12 anders als Absatz 11 kein vorhabenkonkretes Einzelfallverbot erkennen und ergibt sich aus der Forderung des „Bemühens“, dass es sich hier nicht um strikt verbindliche Vorgaben handelt. Das dürfte auch mit Blick auf den Bezug der Regelung einleuchten, denn diese hat sozusagen unterstützende Funktion der Regelziele, indem man rein faktisch geeignete und im guten Zustand befindliche Flächen ergänzend schützt, um hierdurch den Aufwand für künftigen Wiederherstellungsbedarf (Erwägungsgrund 37) zu reduzieren. Eine Zulassungsschranke folgt hieraus also nicht. Eine Berücksichtigungspflicht im Rahmen von Abwägungsentscheidungen dürfte aber naheliegen.

 

Künftige Abarbeitung im Zulassungsverfahren

 

Die fachliche Abarbeitung im Zulassungsverfahren – wenn die vorstehenden Ge- und Verbote einmal Geltung beanspruchen – kann zunächst an die Ermittlung des Bestands von LRT und Habitaten im Rahmen der Eingriffsregelung sowie des nationalen Biotopschutzes ansetzen. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die LRT nach Anhang I und die in Art. 4 Abs. 7 WVO angesprochenen Habitate geschützter Arten als solche erhoben und dokumentiert werden.

 

Die Kompensation möglicher Eingriffe kann nach den hergebrachten Grundsätzen der Eingriffsregelung erfolgen. Allerdings wird für die Wiederherstellungsflächen eben eine LRT-spezifische Kompensation angezeigt sein. Das schränkt den Ansatz des § 15 Abs. 2 BNatSchG etwas ein, da Maßstab eben nicht allein die Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts insgesamt ist, sondern die Wiederherstellung bestimmter LRT bzw. Habitate.

 

Ausnahmen im öffentlichen Interesse: Insbesondere Erneuerbare Energien

 

Außerhalb von Natura 2000 Gebieten greifen Art. 4 Abs. 14 und 15 mit Ausnahmeregelungen zu den Absätzen 11 und 12 ein, namentlich bei Plänen oder Projekten von überwiegendem öffentlichem Interesse, für die keine weniger schädlichen Alternativlösungen zur Verfügung stehen, was auf Einzelfallbasis zu bestimmen ist. Eine Pflicht zur Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen soll hier nicht bestehen.

 

Eine Sonderrolle nehmen hier wieder die Erneuerbaren Energien ein. Für diese wird gemäß Art. 6 WVO davon ausgegangen, dass die Planung, der Bau und der Betrieb von Anlagen zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen sowie deren Netzanschluss, das betreffende Netz selbst und die Speicheranlagen im überragenden öffentlichen Interesse liegen. Ferner dürfen die Mitgliedsstaaten diese von dem Erfordernis der weniger schädlichen Alternativlösungen unter bestimmten Voraussetzungen befreien.

 

In Natura 2000 Gebieten ist die Nichteinhaltung der in den Absätzen 11 und 12 genannten Verpflichtung etwa dann gerechtfertigt, wenn ein Plan oder ein Projekt vorliegen, der bzw. das gemäß Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 92/43/EWG genehmigt wurde. Hier geht also, vereinfacht gesagt, das FFH-Recht der WVO vor.

 

Einbringung rohstoffpolitischer und industrieller Interessen in den künftigen Wiederherstellungsplan

 

Der zuständige Ausschuss für die Wiederherstellungsverordnung hat den von der Europäischen Kommission vorgelegten Entwurf eines Durchführungsrechtsaktes zum einheitlichen Format der nationalen Wiederherstellungspläne befürwortet. Die Durchführungsverordnung 2025/919 wurde am 19. Mai 2025 erlassen. Damit sind die unionsrechtlichen Vorgaben für eine einheitliche Herangehensweise für den nationalen Wiederherstellungsplan nunmehr geschaffen.

 

Bis September 2026 müssen die Mitgliedstaaten den Entwurf ihres nationalen Wiederherstellungsplans für den Zeitraum bis 2050 der Europäischen Kommission zur Prüfung vorlegen. Federführend ist das Bundesumweltministerium. Für die Unternehmen und Verbände der Rohstoffindustrie sowie die Industrie insgesamt muss hier ein Schwerpunkt gesehen werden. Es gilt hier praktische Lösungen zu bewerben und die Betroffenheit von industrieller Nutzung und lagerstätten­gebundener Rohstoffgewinnung durch Wiederherstellungsmaßnahmen in einem beherrschbaren Rahmen zu halten.


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