WISSENSWERTES | 20.03.2020

Corona-Pandemie und Einzelhandel: Rechtswidrigkeit behördlicher Geschäftsschließungen

 

Die im Zuge der Corona(Covid-19)-Krise durch die Bundesländer in den vergangenen Tagen veröffentlichten Erlasse bzw. Allgemeinverfügungen sehen einschneidende Maßnahmen zur Kontaktvermeidung zwischen Menschen vor. Ein zentraler Bestandteil ist dabei in allen Bundesländern das Verbot der Ladenöffnung von Einzelhandelsgeschäften jeder Art. Ob ein Betreiber betroffen ist oder nicht, kann vielfach über die wirtschaftliche Existenz entscheiden.

 

Generelles Verbot der Ladenöffnung mit Ausnahmevorbehalt: Die „Positivliste“

 

Allen neuen Vorschriften ist gemeinsam, dass sie zunächst ein generelles Verbot der Ladenöffnung vorgeben. Dieses Verbot wird dann aber durch ausdrücklich formulierte Ausnahmen für Einzelhändler und Verkaufsstellen mit bestimmtem Sortiment durchbrochen. Diese Ausnahmen finden sich in einer sog. „Positivliste“ (z.B.: „Untersagt wird die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art. Hiervon ausgenommen sind der Lebensmittelhandel, Getränkemärkte, Banken, Apotheken, Drogerien, Sanitätshäuser, Optiker, Hörgeräteakustiker, Filialen der Deutschen Post AG, Tierbedarf, Bau- und Gartenmärkte, Tankstellen, Reinigungen und der Online-Handel.“; vgl. Allgemeinverfügung Bayern vom 16. März 2020, Ziff. 4, Nordrhein-Westfalen oder auch Sachsen).

 

Rechtsunsicherheit durch unklare und auslegungsbedürftige Begriffe

 

Unabhängig von der Frage, ob die getroffene Auswahl im Hinblick auf Ausnahmen vollständig und unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten rechtlich richtig erfolgt ist, ergeben sich auch in Fällen, die sich eigentlich auf die Ausnahmeregelung berufen könnten, oftmals Unsicherheiten. Während ein typischer Einzelhandelsbetrieb mit homogenem Sortiment „Lebensmittel“ oder „Bau- und Gartenmarkt“ keine Zuordnungsschwierigkeiten haben wird, zeigt sich in den ersten Tagen der Anwendung der Auslegungsregeln eine erheblich abweichende Praxis der Vollzugsbehörden vor Ort bei der Umsetzung der Positivliste. So werden z.B. Sonderpostenmärkte oder andere Nahversorger mit differenziertem Sortiment in einem Landkreis zu den Ausnahmen gerechnet, im anderen nicht. Noch größer sind die Unterschiede zwischen den Bundesländern, obwohl man sich überall auf die Empfehlungen des Kabinettsausschusses der Bundesregierung beruft.

 

Im Zweifel dürfte eine eher großzügige Handhabung faktisch geboten und rechtlich begründet sein. Die Erlasse und Allgemeinverfügungen sollen zwar Sozialkontakte vermindern helfen, zugleich aber – sogar unter Lockerung der Ladenöffnungszeiten – die essentielle Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs ermöglichen. Hinzu tritt, dass eine größere Anzahl entsprechender Geschäfte einer Konzentration des Publikumsverkehrs auf einige wenige Anlaufstellen vorbeugt. Damit werden logistische Probleme ebenso gemindert wie erhöhte Ansteckungsgefahren durch eine räumliche Kumulation. Bei Mischsortimenten spricht Vieles für eine Anknüpfung an die Schwerpunktsortimente.

 

Effektiver Rechtsschutz

 

Betreiber zwangsweise geschlossener Geschäfte oder Verkaufsstellen, die sich zu Unrecht ausgeschlossen sehen oder sogar der jeweiligen Positivliste zurechnen, von der zuständigen Behörde aber anders behandelt werden, können hiergegen rechtlich vorgehen. Effektives Mittel ist dabei nur der Eilrechtsschutz, der im vorliegenden Fall binnen weniger Tage entschieden sein kann, wie erste Verfahren bereits zeigen.

 

Bei Betroffenen, die sich gegen die behördliche Einschätzung wenden, nicht Teil der Positivliste zu sein, besteht die Besonderheit darin, dass sie nicht den Erlass oder die Allgemeinverfügung als solche angreifen, sondern deren konkrete, rechtswidrige Handhabung im einzelnen Fall. Dies hat Auswirkungen auf die prozessrechtliche Gestaltung des Eilverfahrens.

 

Zu beachten ist auch, dass ggf. bereits jetzt gegen entsprechende Maßnahmen vorgegangen werden sollte, auch wenn die verschiedenen Erlasse und Allgemeinverfügungen derzeit bis Ende April 2020 befristet sind. Erfolgt nämlich eine Verlängerung, könnte Rechtsverlust für denjenigen eintreten, der sich nicht bereits gegen die Erstmaßnahme gewendet hat.

 

Diejenigen Betroffenen, die darüber hinaus (auch) gegen den Erlass bzw. die Allgemeinverfügung als solche vorgehen wollen, müssen die Rechtsbehelfsfrist von einem Monat ab Bekanntmachung beachten.

 

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