WISSENSWERTES | 30.03.2020
Corona-Krise: Die präsenzlose (virtuelle) Beschlussfassung bei der GmbH
Gesellschafterversammlung trotz Versammlungsverbot?
„Die Beschlüsse der Gesellschafter werden in Versammlungen gefaßt.“ So steht es in § 48 des Gesetzes betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG).
Teil der Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise ist neben Kontaktverboten und Ausgangssperren von Beginn an auch eine weitgehende Einschränkung der Versammlungsfreiheit. All das erfasst auch Gesellschafterversammlungen und führt dazu, dass Unternehmen zum Teil nicht mehr in der Lage sind, Entscheidungen ihrer zuständigen Organe in dem gesetzlich und/oder satzungsmäßig vorgesehenen Rahmen unter Einhaltung der formellen Voraussetzungen herbeizuführen.
Gesellschafterversammlung kann überlebenswichtig sein!
Die Gesellschafterversammlung ist gesetzlich und/oder satzungsmäßig in aller Regel zuständig für alle für Gesellschaften wichtigen Entscheidungen. Solche Entscheidungen sind aber gerade in Krisenzeiten zwingend, wenn die Gesellschaft wirtschaftlich die Herausforderungen meistern will. Das Funktionieren des Organs Gesellschafterversammlung wird in der aktuellen Situation überlebenswichtig sein.
Präsenzlose (virtuelle) Gesellschafterversammlung
Um Entscheidungen ohne eine physische Präsenz der Gesellschafter herbeiführen zu können, sehen viele Gesellschaftsverträge und auch § 48 Abs. 2 GmbHG Regelungen vor, die eine präsenzlose Beschlussfassung ermöglichen, wenn sich
entweder
(i) alle Gesellschafter in Textform (z.B. per E-Mail oder Computerfax) mit der in der Sache zu treffende Regelung einverstanden erklären (1. Alternative von § 48 Abs. 2 GmbHG)
oder
(ii) die Gesellschafter zwar unterschiedlich abstimmen, sich jedoch alle mit der schriftlichen Stimmabgabe einverstanden erklären (2. Alternative § 48 Abs. 2 GmbHG).
Das GmbHG und so auch die meisten Gesellschaftsverträge sehen also für beide Varianten ein allseitiges Einverständnis entweder mit dem Beschlussgegenstand oder dem Verfahren der schriftlichen Stimmabgabe vor. Kann – und dies ist gerade in Krisenzeiten nicht unüblich – ein solches Einvernehmen zwischen allen Gesellschaftern (erschwert auch noch durch die fehlende Möglichkeit sich persönlich zu treffen) nicht hergestellt werden, ist eine präsenzlose Beschlussfassung ohne spezielle Satzungsgrundlage unzulässig.
Erleichterte Voraussetzungen für eine präsenzlose Gesellschafterversammlung?
Um in der aktuellen Krise Entscheidungen ohne eine physische Präsenz der Gesellschafter herbeiführen zu können, sieht das am 25. März 2020 im Bundestag (einstimmig!) beschlossene Gesetz zur Abmilderung der Flogen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vor, die Voraussetzungen für die Einberufung und die Durchführung derartiger Versammlungen zu erleichtern.
In § 2 zu Artikel 2 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie ist folgendes geregelt:
„Abweichend von § 48 Absatz 2 des Gesetzes betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung können Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden.“
Die Regelung wirkt auf den ersten Blick als Lösung des aktuellen Problems. Es lohnt sich allerdings ein zweiter (genauerer) Blick, um nicht in die Falle reihenweise unwirksamer Gesellschafterbeschlüsse zu laufen.
(i) Gut ist zunächst, dass § 2 zu Artikel 2 nicht zwischen den beiden Alternativen in § 48 Abs. 2 GmbHG unterscheidet. Dies bedeutet, dass eine Beschlussfassung in Textform per E-Mail oder (Computer-) Fax zulässig ist, also auch dann, wenn die Gesellschafter keinen einstimmigen Beschluss in der Sache treffen oder sich nicht alle Gesellschafter mit einer derartigen Stimmabgabe einverstanden erklären.
(ii) Zu beachten ist auch, dass nach § 7 Abs. 2 zu Artikel 2 die neue Regelung nur auf Gesellschafterversammlungen und -beschlüsse anzuwenden ist, die im Jahr 2020 stattfinden.
(iii) Wünschenswert wäre es gewesen, wenn der Gesetzgeber auch die gesetzlichen Vorschriften über die Form und Frist der Einberufung der Gesellschafterversammlung an die aktuellen Verhältnisse angepasst hätte, um bei dringlichen Fragen schneller entscheiden zu können. Wenn eine präsenzlose Beschlussfassung in Erwägung gezogen wird, muss nämlich neben den einzuhaltenden Fristen besonderes Augenmerk auf die Formulierung der Beschlussvorschläge gelegt werden. Die Beschlussvorschläge müssen so formuliert sein, dass mit „Ja“ oder „Nein“ abgestimmt werden kann; Tagesordnungspunkte zur „Erörterung“ sind in diesem Wege nicht möglich.
(iv) Hauptproblem ist jedoch, dass es der Bundesgesetzgeber unterlassen hat, zugleich auch § 45 GmbHG zu ändern. Diese Vorschrift regelt den Grundsatz, dass sich die Rechte, welche den Gesellschaftern in den Angelegenheiten der Gesellschaft, insbesondere in Bezug auf die Führung der Geschäfte zustehen, sowie die Ausübung derselben nach dem Gesellschaftsvertrag bestimmen. Das bedeutet: Nur dann, wenn der Gesellschaftsvertrag zu den Gesellschafterrechten keine Regelungen enthält, finden die Vorschriften der §§ 46 bis 51 GmbHG Anwendung. Auch die Regelung in § 48 GmbHG gilt damit nur hilfsweise. Da es in der Praxis nur sehr wenige Gesellschaftsverträge gibt, die zur Gesellschafterversammlung und zu Gesellschafterbeschlüssen keine bzw. kaum Regelungen enthalten, könnte es in vielen Fällen so sein, dass die neue gesetzliche Regelung gar keine Anwendung findet. Die vom Gesetzgeber gewollte Hilfestellung wäre ohne Wert für die Praxis.
Praxistipp
Es ist unverändert notwendig, bei der Vorbereitung und Abhaltung von Gesellschafterversammlungen sehr sorgfältig vorzugehen und die Besonderheiten eines jeden Gesellschaftsvertrages ebenso genau zu prüfen. Schnellschüsse führen häufig zu unwirksamen oder anfechtbaren Gesellschafterbeschlüssen, die deshalb in der Praxis nicht umsetzbar sind und die Geschäftsführer mit den ihnen obliegenden Pflichten zur Führung der Gesellschaft in der Krise allein lassen. Das gefährdet unnötig die Existenz des Unternehmens, seiner Werte und Arbeitsplätze.