WISSENSWERTES | 17.10.2016

Brexit – Handlungsbedarf für englische Gesellschaften in Deutschland

Nachdem sich der erste „Schock“ im Anschluss an das EU-Mitgliedschaftsreferendum vom 23. Juni 2016 und dem damit beschlossenen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs gelegt hat, rücken vermehrt die politischen und rechtlichen Problemstellungen eines solchen „Brexit“ in den Focus des öffentlichen Bewusstseins.

Rückblick

In der Vergangenheit konnten das englische Gesellschafts- und Insolvenzrecht sehr erfolgreich exportiert werden. Viele inländische Unternehmen bedienten und bedienen sich englischer Rechtsformen, um in den Genuss einer Haftungsbeschränkung ohne größeren Gründungs- und Kapitalaufwand sowie des grundsätzlich schuldnerfreundlicheren anglo-amerikanischen Insolvenzrechts zu kommen. Rechtliche Grundlage dieses Erfolges waren bisher die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV sowie die Europäische Insolvenzordnung (EuInsVO).

Der Erfolg der englischen Private Limited Company (Ltd.) ging sogar so weit, dass sich der deutsche Gesetzgeber 2008 veranlasst sah, eine Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) als kleinere Variante der Gesellschaft mit beschränkter Haftung als Alternative zu der im Vordringen befindlichen Private Limited Company zu schaffen.

Angesichts der Grundsatzentscheidung für einen Brexit und der gleichzeitigen Unsicherheit darüber, wie die bilateralen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich einerseits und der EU andererseits in Zukunft geregelt werden, ist für die betroffenen englischen Gesellschaften im Inland Handlungsbedarf zu konstatieren.

Konsequenzen eines „kalten“ Brexit aus gesellschafts- und insolvenzrechtlicher Perspektive

Im Anschluss an einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU – ohne den Abschluss umfangreicher bilateraler Verträge – würde englischen Gesellschaften im Inland der Status bloßer Drittstaatengesellschaften zukommen. Das hätte zur Folge, dass nach der vom Bundesgerichtshof vertretenen „modifizierten Sitztheorie“ ausländische Kapitalgesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland in inländische Personengesellschaften überführt werden müssten – und zwar je nach Geschäftsart in Gesellschaften Bürgerlichen Rechts oder Offene Handelsgesellschaften. Hiermit einher geht die unmittelbare, unbeschränkte und gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafter einer GbR nach § 128 HGB analog bzw. einer OHG gemäß § 128 HGB – und zwar mit ihrem gesamten Privatvermögen.

Ferner ist zu beachten, dass eine Umwandlung von Drittstaatengesellschaften in eine Gesellschaft deutscher Rechtsform nach einem Brexit nicht mehr unproblematisch möglich wäre. Derzeit müssen EU-Mitgliedsstaaten aufgrund der Niederlassungsfreiheit nach der Rechtsprechung des EuGH einen grenzüberschreitenden Rechtsformwechsel noch ermöglichen.

Auch im Hinblick auf (laufende) englische Insolvenzverfahren ist nach einem Brexit zu beachten, dass nach § 343 InsO die bloße Antragstellung in einem Drittstaat nicht mehr problemlos anerkennungsfähig wäre. Die ohne weitere Förmlichkeiten anzuerkennenden Verfahren sind abschließend im Anhang A zur EuInsVO aufgezählt, welcher dann nicht mehr anwendbar wäre. Stattdessen müsste nun das Insolvenzverfahren im Vereinigten Königreich als Drittstaat als „Insolvenzverfahren“ im Sinne der InsO anerkannt werden.

Fazit und Empfehlungen

Von einem Brexit können in Deutschland für – unvorbereitete – Gesellschaften in englischer Rechtsform und deren Gesellschafter gravierende Folgen ausgehen. Dies betrifft namentlich den Verlust von Haftungsbeschränkungen und die damit einhergehende persönliche Haftung der betroffenen Gesellschafter mit ihrem gesamten Privatvermögen.

Daher ist es aus unternehmerischer Sicht empfehlenswert, gleichsam proaktiv die Wahl der Rechtsform zu überdenken und gegebenenfalls planvoll eine Umwandlung der englischen Gesellschaft in eine deutsche Rechtsform einzuleiten. Nach erfolgtem Brexit hingegen kommen in erster Linie nur noch eine Auflösung der Alt-Gesellschaft sowie eine anschließende Neugründung in Betracht.


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