WISSENSWERTES | 19.09.2016

Drastische Folgen bei Umgehung des Vergaberechts

 
Das OLG Saarbrücken hat am 17. August 2016 (Az. 1 U 159/14, bislang nicht rechtskräftig, Revision nicht zugelassen) eine Entscheidung mit vergaberechtlichem Hintergrund getroffen, die sich auch auf die Vergabepraxis für öffentliche Aufträge noch erheblich auswirken könnte.
 

Sittenwidrigkeit

In der Sache geht es um Ansprüche aus Verträgen mit der öffentlichen Hand, die ohne eine erforderliche Ausschreibung geschlossen oder nachträglich wesentlich geändert worden sind. Das OLG Saarbrücken ist der Auffassung, dass solche Verträge dann nach § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig sind, wenn die Vertragspartner den Vertrag in dem Wissen geschlossen bzw. wesentlich geändert haben, dass dies nicht ohne eine vorherige Ausschreibung nach den Regelungen in §§ 97 ff. GWB (Kartellvergaberecht) zulässig war.
 

Ausschluss von Bereicherungsansprüchen nach § 817 S. 2 BGB

Neu und gravierend sind die Folgen, die das OLG Saarbrücken über die Nichtigkeit des Vertrags hinaus für mögliche Ansprüche der Vertragspartner aus der Leistungsaustauschbeziehung ableitet: Nicht nur die Ansprüche auf Erfüllung vertraglicher Pflichten entfallen (Folge der Nichtigkeit nach § 138 BGB), sondern auch Bereicherungsansprüche schließt das OLG auf Basis von § 817 Satz 2 BGB für beide Vertragspartner aus.
Interessant und instruktiv formuliert das OLG die Anforderungen an die Kenntnis der Beteiligten von der Vergaberechtswidrigkeit einer Direktvergabe. Die Schwelle erscheint nicht allzu hoch. Denn der Senat statuiert Informationspflichten für die Vertragsbeteiligten, sobald sich aus deren Sicht die Frage nach vergaberechtlichen Anforderungen stellt. Eine dafür ausreichende Indizienlage hält der Senat bereits für gegeben, wenn der konkrete Auftragswert die EU-Schwellenwerte erreicht oder überschreitet.
 

Obliegenheit zu sachkundiger anwaltlicher Beratung

In diesem Fall sind die jeweiligen Parteivertreter gehalten, den Vergaberechtsrahmen im Regelfall über eine sachkundige anwaltliche Beratung aufklären zu lassen. Unterbleibt das und unterlag der Vertragsschluss dem GWB, greift bereits die Nichtigkeitsfolge mit dem Argument, dass sich die Beteiligten der eigentlich erforderlichen Kenntnis vom Rechtsverstoß bewusst verschlossen haben. Da schon eine Verletzung der Pflicht zur Inanspruchnahme fachkundigen Rechtsrats zur Nichtigkeit führen kann, müssen die Vertragsbeteiligten darlegen, wie und mit welchem Ergebnis sie sich vor Vertragsschluss über die Rechtslage Klarheit verschafft haben. D.h. die Entscheidungsträger sind auf beiden Seiten (Auftraggeber – Unternehmen) gut beraten, Auftrag und Ergebnis eines solchen anwaltlichen Rats zu dokumentieren, um im Streitfall die Erfüllung ihrer Erkundigungspflichten belegen zu können, wenn sie der Nichtigkeitsdrohung entgehen wollen.

Abweichend von weiten Teilen der bisherigen Rechtsprechung führt die Anwendung des § 817 S. 2 BGB dazu, dass

  • sich die Beteiligten bei Vertragsstreitigkeiten diese Nichtigkeitsfolge zur Abwehr geltend gemachter vertraglicher Ansprüche entgegenhalten können,
  • quasivertragliche, bereicherungsrechtliche Ansprüche auf Vergütung oder Wertersatz bereits erbrachter Leistungen ausgeschlossen sind.

 

Entfallen weiterer Ansprüche

Das bedeutet im Klartext insbesondere:

  • keine Vergütung für bereits erbrachte Planungs-/Bau-/Dienstleistungen aus Bau-, Architekten- oder Dienstleistungsverträgen mit der öffentlichen Hand,
  • keine vertraglichen oder bereicherungsrechtlichen Ansprüche des Auftraggebers auf Schadloshaltung wegen mangelhafter Leistungen, nur teilweise erbrachter Leistungen, Abbruch der Leistungen im laufenden Vorhaben,
  • keine Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers,
  • keine Ansprüche auf Rückzahlung bereits geleisteten Honorars / Werklohns bzw. sonstiger gezahlter Vergütungen (Abschläge u.a.) des Auftraggebers (Ausnahme: Rückzahlung beihilferechtlich notwendig).

Die Entscheidung ist zwar unter dem Recht des GWB vor 2009 ergangen. Die Begründung des Senats lässt aber darauf schließen, dass jedenfalls das OLG Saarbrücken auch unter der Geltung der § 101a und § 101b GWB („6-Monats-Regel“ – Vertragsbestandsschutz) keine andere Entscheidung getroffen hätte, sondern neben den Nichtigkeitstatbeständen aus §§ 101a, 101b GWB a.F. (jetzt §§ 134, 135 GWB n.F.) auch § 138 BGB angewendet hätte.
 
Unter dem Regime der allerjüngsten Rechtsänderungen zum 18. April 2016 kommt ein weiterer Umstand hinzu, der es den Beteiligten künftig noch schwerer machen könnte, auf ein Vertrauen in die Vergaberechtskonformität ihres Handelns zu verweisen: Nach § 135 Abs. 3 GWB n.F. kann der öffentliche Auftraggeber gerade in kritischen Fällen von dem Instrument der vorherigen Publizität Gebrauch machen. Wenn er der Überzeugung ist, dass ein Vertragsschluss bzw. eine Vertragsänderung ohne vorheriges Vergabeverfahren und ohne Beteiligung anderer Interessenten (Direktvergabe) zulässig ist, kann er den in Aussicht genommenen Vertragsabschluss unter Angabe der Gründe für seine Überzeugung über eine Bekanntmachung im Amtsblatt der EU ankündigen und darf dann nach Ablauf einer Wartefrist von 10 Kalendertagen nach Publikation ganz legal den Vertrag abschließen, wenn Einwendungen Dritter nicht erhoben werden. Auftraggeber, die gerade in kritischen Fällen davon keinen Gebrauch machen, könnten damit dokumentieren, dass sie von ihrem Standpunkt offenbar doch nicht ausreichend fest überzeugt sind und gerade deshalb im „Verborgenen“ agiert haben. Auf Basis der Rechtsprechung des OLG Saarbrücken könnte sich so die Gefahr der Nichtigkeit eines Vertrags nach § 138 BGB wegen einer objektiv vergaberechtswidrigen Direktvergabe noch verschärft haben.
 
Ob dieser Rechtsprechung andere Obergerichte und der BGH folgen werden, ist zwar ungewiss. Unter Risikomanagementgesichtspunkten erscheint diese Entscheidung jedoch schon jetzt von ganz erheblicher Bedeutung. PETERSEN HARDRAHT PRUGGMAYER verfügt über eine hervorragende Expertise in Vergaberechtsverfahren und berät Sie gern.


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